Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock (40) wirbelt den Wahlkampf in Deutschland auf. Dossierfest, ehrgeizig und jung: Die Politikerin steht nach 16 Jahren Angela Merkel – davon acht Jahre «GroKo» (Grosse Koalition zwischen CDU und SPD) – für Aufbruch und Erneuerung.
Zwischen CDU-Kandidat Armin Laschet (60) und SPD-Kandidat Olaf Scholz (62) sticht Baerbock heraus. Anfang Mai lagen die Grünen in Umfragen sogar vor dem Platzhirsch CDU, eine Direktwahl hätte die grüne Hoffnungsträgerin zu diesem Zeitpunkt wohl gewonnen. «Erfrischend anders» titelte das Magazin «Stern View» kürzlich gar – zusammen mit Baerbocks Foto wirkte das Zeitschriftencover wie ein Wahlplakat. Vorwürfe, die den Studienabschluss der Politologin und Völkerrechtlerin betrafen, erwiesen sich als haltlos.
Doch nun bekommt Baerbocks Sauber–Image erste Risse.
Wie der «Spiegel» am Mittwoch berichtet, hat Baerbock, seit mehr als sieben Jahren Abgeordnete, Nebeneinkünfte aus den Jahren 2018 bis 2020 lange nicht bei der Bundestagsverwaltung angegeben. Insgesamt geht es um 25'220 Euro (27'700 Franken), die sie als Grünen-Vorsitzende von ihrer Partei bekommen hat: zu Weihnachten, wegen Corona, für erfolgreiche Wahlkämpfe.
Nachmeldung erfolgte spät – und zu pikantem Zeitpunkt
Eigentlich müssen Nebeneinkünfte innerhalb von drei Monaten gemeldet werden. Baerbock aber meldete die umgerechnet rund 27'700 Franken erst im März 2021, «nachdem ihr und der Bundesgeschäftsstelle der Partei aufgefallen war, dass dies versehentlich noch nicht erfolgt war».
Die Schlamperei ist aus zwei Gründen pikant. Zum einen ist da der Zeitpunkt. Die Nachmeldung erfolgt just, als die Maskenaffäre auffliegt – mehrere Abgeordnete von CDU und CSU haben sich in der Corona-Pandemie mit nicht gemeldeten Nebengeschäften ein goldenes Näschen verdient.
Zum anderen, weil die Grünen stets für Transparenz einstehen und andere Parteien bei Regelverstössen am schärfsten kritisieren. Rechtlich dürfte der Fall kaum Folgen haben, schliesslich hat Baerbock freiwillig nachgemeldet. Politisch aber ist die Affäre heikel.
Ergeht es Baerbock wie Martin Schulz?
Schon vor dieser Meldung machten ihr zwei Probleme zu schaffen: der mögliche Parteiausschluss von Tübingens grünem Bürgermeister Boris Palmer (48) und der erste fachliche Patzer – so lobte sie die Sozialdemokraten für die Erfindung der sozialen Marktwirtschaft. Tatsächlich aber geht die auf die CDU zurück.
Nun also die nachgemeldeten Nebeneinkünfte. Die Situation erinnert an SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz (65), der im Wahlkampf 2017 im Frühjahr ebenfalls die Nase vorn hatte. Doch nach dem Hype kam die Ernüchterung. Der «Schulz-Zug» fuhr weit vor der Bundestagswahl im September ab.