Griechenland und die Flüchtlingskrise
Was ist erlaubt an der Grenze zur Türkei?

An der griechisch-türkischen Grenze werden Flüchtlinge und Migranten zum Spielball der Politik. Die Türkei will die Menschen nach Griechenland schicken, doch Athen wehrt sie ab. In der EU ist man heilfroh darüber. Die jüngste Eskalation wirft auch Rechtsfragen auf.
Publiziert: 10.03.2020 um 11:28 Uhr
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Aktualisiert: 13.03.2020 um 16:21 Uhr
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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte vergangene Woche die türkischen Grenzen für Flüchtlinge in Richtung Europa geöffnet.
Foto: keystone-sda.ch

Die EU spricht gerne von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Doch auf die Frage, ob Griechenland sich bei seinem harten Vorgehen gegen Migranten an der Grenze zur Türkei an internationales und europäisches Recht hält, reagiert EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hilflos. «Niemand kann sicher sagen», ob das der Fall sei. Sie könne nur dazu aufrufen, das Recht zu achten. «Ich zähle darauf, dass die griechische Regierung dem folgt.»

Auch der Europa- und Völkerrechtler Daniel Thym tut sich schwer mit einer klaren Bewertung. Griechenland verstosse gegen den Geist der europäischen Asylpolitik. Die Frage, wie und ob es auch gegen den Buchstaben der Gesetze verstösst, sei sehr viel schwieriger zu beantworten, sagt der stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR).

Er sieht ein tieferes Problem: «Wir sind in Europa stolz auf unser super Asylrecht, verhindern in der Praxis aber, dass zu viele Menschen zu uns kommen. Wir müssen uns die Frage beantworten, wie viel Asylrecht wir eigentlich wollen.»

Darf Griechenland seine Grenze abriegeln?

Ja - das ist eine Frage der staatlichen Souveränität. Wie Menschenrechtler betont aber auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, dass die Behörden dabei auf übermässigen Einsatz von Gewalt verzichten und ein System für die Bearbeitung von Asylanträgen aufrecht erhalten müssen.

Griechenland will aber doch keine Asylanträge mehr annehmen?

Stimmt. Dabei heisst es in der europäischen Dublin-III-Verordnung wörtlich: «Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschliesslich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt.»

Doch dazu muss man den Antrag ja erst einmal stellen können. «Eigentlich kann man an Grenzübergängen immer Asylanträge stellen. Solange diese geschlossen sind, gibt es faktisch jedoch keine Einreisemöglichkeit mehr», sagt Jurist Thym.

Was ist, wenn die Menschen noch gar nicht in Griechenland sind?

Das ist nach Ansicht von Thym der Knackpunkt. «Wenn das Recht auf einen Asylantrag absolut gilt, dann hiesse das, dass im Extremfall alle 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei zur Grenze kommen und dort Schutz suchen dürften. Da stiessen die rechtlichen Regelungen an politische Grenzen.»

Dürfen die griechischen Behörden Schutzsuchende in die Türkei zurückschicken?

Sie berufen sich dabei auf EU-Recht: Im Rahmen der EU-Türkei-Vereinbarung gilt die Türkei als «sicherer Drittstaat», in dem den Menschen keine Gefahr droht. Wenn jemand in der Türkei bereits formal Asyl oder eine andere Art von Schutz bekommen hat, gilt das Land damit ausserdem nach europäischem Recht als «erster Asylstaat» - womit ein möglicher Anspruch auf Schutz in der EU hinfällig wird.

Müssen die griechischen Behörden vorher Asylanträge prüfen?

Grundsätzlich schon. Und so haben griechische Gerichte bei Asylanträgen in den vergangenen Jahren oft anders entschieden und Antragsstellern Recht gegeben - mit dem Hinweis, dass die Türkei kein sicherer Drittstaat sei.

Die Sache wird allerdings nicht einfacher durch ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). So durfte Spanien zwei Migranten aus seiner Exklave Melilla bei ihrem Grenzübertritt umgehend nach Marokko zurückweisen.

«Demnach wären Zurückweisungen erlaubt, falls es eine Möglichkeit gegeben hätte für die Betroffenen, schon an der Grenze um Asyl zu bitten», erläutert Thym. Und bei Griechenland stellt sich die Frage, ob es derzeit für Migranten überhaupt einen legalen Weg gibt zur Einreise aus der Türkei.

Die griechischen Behörden wollen Menschen nicht nur in die Türkei, sondern auch in ihre Herkunftsländer zurückschicken. Ist das erlaubt?

Auch hier müsste der Einzelfall geprüft werden. «Leute ohne jegliches Verfahren in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken, wäre ein klarer Bruch des europäischen Asylrechts», sagt Thym.

Darf Griechenland Asylsuchende in Haft nehmen?

Nicht allein mit der Begründung, dass sie Asyl suchen. In der so genannten EU-Verfahrensrichtlinie steht: «Die Mitgliedstaaten nehmen eine Person nicht allein deshalb in Gewahrsam, weil sie einen Antrag gestellt hat.» Thym weist darauf hin: «Es kann aber viele andere Gründe geben im Laufe eines Verfahrens, um Menschen in Gewahrsam zu nehmen. Zum Beispiel, falls sie Grenzbeamte angegriffen haben.»

An der griechisch-türkischen Grenze werfen die Menschen derzeit Steine und auch Tränengas über den Zaun Richtung der griechischen Beamten. Ob das aber auch für die wenigen gilt, die es über den Zaun schaffen, ist unklar. Festgenommen werden sie von den griechischen Beamten in jedem Fall. «Es spricht viel dafür, dass die griechischen Behörden rechtsstaatliche Standards bei Verhaftungen im Moment nicht einhalten», meint Thym. (SDA)

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