Die Besteigung der Marmolata (3343 m ü. M.) zählt zu den alpinen Attraktionen des Südtirols. Der Sonntag lockt mit Sonne und sommerlichen Temperaturen. Verschiedene Seilschaften machen sich auf dem sogenannten Normalweg zum Gipfel der «Königin der Dolomiten». Auch Fabio R.* (27) aus Vicenza (I) freut sich auf die Bergtour. Um die Mittagszeit lacht der passionierte Berggänger in die Linse seines Smartphones. «Schaut, wo ich bin», postet er unter das Selfie. 15 Minuten später löst sich oberhalb am Gletscher ein Eisturm. Fabios Handy verstummt. Er zählt zu den Vermissten.
Der Italiener hatte keine Chance. Eis, Schneebrocken und Geröll rasen mit 300 km/h gut 500 Meter den Hang hinab. Die Lawine reisst die Menschen mit Wucht mit, begräbt alles auf einer Breite von zwei Kilometern. Zwei Seilschaften werden überrollt. Die Bilanz am Montagnachmittag: Sieben Tote, acht Verletzte, 15 Vermisste. Zwei Deutsche (58 und 67) ringen auf der Intensivstation in Belluno (I) mit dem Tod.
Leichen sind entstellt und schwer zu identifizieren
«Die Zahl der Opfer wird steigen», betonte Maurizio Fugatti. Denn es gebe kaum Überlebenschancen für die Verschütteten, so der Landeshauptmann. Die Identifizierung der geborgenen Leichen ist mühevoll. Das Geröll habe die Körper entstellt. Bei einigen wird ein DNA-Test vorgenommen und das Resultat mit den genetischen Daten der Verwandten abgeglichen. Bislang konnten erst drei Toten identifiziert werden. Es sind zwei Bergführer aus den Provinzen Vicenza und Treviso. Eine dritte identifizierte Person stammt aus der Region Venetien. Vermisst werden Berggänger aus Rumänien, Frankreich, Österreich und aus der Tschechischen Republik.
Gleich nach dem Gletschersturz beginnt die verzweifelte Suche nach Verschütteten. Helikopter transportieren Bergretter, und Drohnen überfliegen mit Wärmebildkameras das Lawinengebiet, in der Hoffnung, noch Überlebende zu orten. Als das Wetter sich am Montag verschlechtert, wird die fieberhafte Suche vorübergehend eingestellt.
Es droht der Abbruch eines weiteren Eisturms
Die Bergungsarbeiten vor Ort erweisen sich als gefährlich und kompliziert. Noch immer hängt eine 200 Meter breite, 60 Meter hohe und 80 Meter tiefe Eisfront wie ein Damoklesschwert über der Unglücksstelle. Die Massen, die noch abbrechen könnten, hätten ein Volumen von zwei gefüllten Fussballstadien, so Experten. Derweil wurde die Flanke der Marmolata für das Publikum gesperrt.
Reinhold Messner (77) sieht die Ursache des Unglücks im Klimawandel und in der Erderwärmung. «Diese fressen die Gletscher weg», sagt der prominente Bergsteiger und Umweltschützer im Gespräch mit der Deutschen Presseagentur. An den Abbruchkanten der Gletscher würden sich sogenannte Seracs bilden, Eistürme in der Grösse von Wolkenkratzern. Messner warnt vor weiteren Katastrophen: «Heute gibt es viel mehr Fels- und Eisabbrüche als früher.»
Viel zu warm am Gipfel der Marmolata
Am Sonntag wurde bei einer Messstation auf 2606 Meter Höhe in der Marmolata-Gruppe eine Höchsttemperatur von 16,8 Grad gemeldet. Am Tag zuvor wurde am Gipfel der Marmolata ein Temperaturrekord von zehn Grad gemessen.
Der Menschen müsste die Natur respektieren, mahnt indes Papst Franziskus, in einem Tweet. Italiens Ministerpräsident Mario Draghi (74) machte sich unterdessen auf den Weg zum Unglücksort. Er verspricht, seine Regierung müsse nun alles unternehmen, damit solche Katastrophen sich nicht wiederholen.
*Name geändert