Die «Operation Propaggine» beginnt im Morgengrauen des 10. Mai 2022. Italienische Antimafia-Einheiten verhaften 43 Verdächtige in Rom und weitere 34 Männer in Kalabrien. Unter den festgenommenen Mafiosi sind auch zwei namhafte Bosse. Seit 2015, so heisst es in der 2000-seitigen Ermittlungsakte, bauten diese Paten in Rom eine potente 'Ndrangheta-Zelle auf.
Für Journalist und Politiker Klaus Davi (56) sind solche Zugriffe täglich Brot. Seit acht Jahren führt der gebürtige Bieler mit Live-Reportagen und provokanten Plakataktionen seinen ganz persönlichen Kampf gegen die kalabrische Mafia. Gross-Razzien sind für Davi eigentlich «Good News».
Schlimmer als leere Patronenhülsen
Doch dieses Mal sorgt die Nachricht beim Schweizer mit Wohnsitz in Mailand für Entsetzen. Grund dafür sind abgehörte Telefongespräche zwischen zwei Mafia-Bossen, die den Bieler betreffen. Es geht um eine Plakataktion, die Klaus Davi im Juli 2017 geplant hatte. Der Marketing-Experte wollte an jeder S-Bahn-Station der römischen Innenstadt ein Poster mit Foto und Namen von in Rom lebenden 'Ndrangheta-Paten aufhängen, darunter auch jene der zwei abgehörten Mafia-Bosse.
Die Aktion wurde von der Stadtregierung abgeblasen. Die Plakate wurden nie aufgehängt. Doch die 'Ndrangheta erfuhr davon und war alarmiert. Im abgehörten Telefonat nennt einer der beiden Bosse Klaus Davi einen «Polizeispitzel und Bastard», der den ermittelnden Behörden Informationen zuspiele und ihre Geschäfte in Rom gefährde. «Auch wenn sie nicht direkt meine Ermordung ankündigten, so kann man viel zwischen den Zeilen lesen», sagt Klaus Davi zu Blick, «diese Aussage scheint mir viel gefährlicher, als wenn sie mir Patronenhülsen zuschicken oder mein Auto anzünden. Ich habe zum ersten Mal Angst vor der Mafia».
Erschrocken, aber nicht in Panik
Er sei erschrocken, sagt der Hobby-Mafiajäger weiter, «doch Panik habe ich keine. Nachts grübele ich über das, was ich schon gegen die Mafia getan habe und darüber, wie ich mich schützen kann». Denn, so Klaus Davi weiter, «jeder in Italien weiss, wer ich bin und wo ich wohne».
Aufsehen erregte Klaus Davi schon vor Jahren als Live-Reporter für den kalabrischen Regionalsender LaC. Er lauerte Paten privat auf, beharrte auf Interviews über ihre Verbrechen. Er pflasterte Strassen mit Fotos der Mafiosi. Auf einem Plakat wurde ein Boss sogar als Drag-Queen dargestellt. Im Juni 2016 stellte Klaus Davi sich dem gefährlichen Anello-Clan, der auch Geschäfte in der Schweiz machte. Die Mamma des Paten ging mit einem Besen auf den Reporter los (Blick berichtete). Bislang kam Klaus Davi lediglich mit blauen Flecken, allenfalls Verleumdungsklagen davon.
Im Mai 2019 kandidierte Klaus Davi als Gemeinderat im berüchtigten Mafia-Nest San Luca – und wurde gewählt. Danach zog er in den Stadtrat von Reggio Calabria. Beide Ämter hat er mittlerweile aufgegeben. Dennoch: Die «rote Linie» war überschritten, glaubt Klaus Davi, «ich, der Schweizer und Homosexuelle, bin der 'Ndrangheta zu nahe gekommen, habe ihre Mafia-Ehre und die Omertà verletzt». Dennoch, Klaus Davi bleibt dabei: «Ich werde weiter gegen die Mafia kämpfen.»