Darauf hat die Schweiz gewartet: Wirtschaftsminister Guy Parmelin (64) und seine Amtskollegen aus Norwegen, Island und Liechtenstein setzten am Sonntag in Delhi ihre Unterschriften unter den neuen Freihandelsvertrag. Danach lässt Indien Einfuhrzölle auf beispielsweise Schweizer Exporte wie Uhren, Pharmaprodukte oder Maschinen fallen, will Patente schützen und Investoren ins eigene Land holen. 100 Millliarden US-Dollar sollen in den kommenden 15 Jahren aus den Efta-Staaten nach Indien fliessen. Das «neue China» steckt aber auch voller Widersprüche. Blick stellt sechs verblüffende Superlative zum Riesenreich vor.
Sprachen, Religionen, Kasten – Indien ist Multikulti
Vielsprachigkeit ist nicht nur eine Schweizer Spezialität. Auch Indien kann da mithalten. Es zählt 200 Sprachen aus drei Sprachfamilien. Davon sind 26 Amtssprachen. Jeder Zehnte der 1,4 Milliarden Inder spricht Englisch. Damit ist Indien das zweitgrösste englischsprachige Land der Welt. 80 Prozent der Inder sind Hindus. Sie verehren nicht weniger als 330 Mio. Götter und fügen sich in eine strenge Kastengesellschaft. Die oberste gehört den Brahmanen, gefolgt von der Kriegerkaste und jener der Bauern und Kaufleuten. Vierte Kaste ist die der Diener, Knechte und Tagelöhner. Schlusslicht in der Gesellschaft sind die rund 240 Millionen «Unberührbaren» oder «Unreinen», auch «Dalits» genannt. Im modernen Indien gibt es vereinzelt auch für sie Aufstiegschancen. Die «Ex-Unberührbare» Meira Kumar wurde Parlamentspräsidentin, die «Dalits» Kocheril Raman Narayanan und Ram Nath Kovind schafften es zum Staatsoberhaupt.
Nur zwei Prozent der Inder zahlen Steuern
Indiens Exportschlager sind Rohstoffe wie Erdöl, medizinische und pharmazeutische Erzeugnisse sowie Textilien. Es ist weltweit führend in der Informations- oder Biotechnologie, bietet hochqualifizierte IT-und KI-Experten zu Niedrigstlöhnen. Innovative Start-ups, Hightech-Unternehmen und Rechenzentren schiessen wie die Pilze aus dem Boden. Doch der neue Wohlstand bleibt eine Insel der Seligen. Denn die grosse Masse der Inder ist arm. 43 Prozent der Menschen leben von der Landwirtschaft. Ein Drittel von ihnen verdient nicht mehr als 1.60 Franken am Tag. Und jeder Vierte kann nicht lesen oder schreiben. Daher zahlen nur zwei Prozent der Bevölkerung in Indien Steuern.
Mehr Smartphones als Toiletten
Gut 82 Prozent der 1,4 Milliarden Einwohner haben zwar ein Handy, nur 66 Prozent aber verfügen über eine Toilette. Nach Angaben von Unicef verrichten in Indien weltweit die meisten Menschen ihre Notdurft im Freien. Jedes Jahr fallen mehr als vier Millionen Tonnen Plastikmüll an. Eine reguläre Kehrichtabfuhr gibt es nicht. Und auch die Stadtluft ist dick. So ergab eine Studie, dass wer allein in der Millionenmetropole Mumbai einen Tag die Luft einatmet, so viel Gift in der Lunge hat wie nach 100 Zigaretten. Seit zehn Jahren kämpft die Regierung mit verschiedenen Projekten für ein «sauberes Indien».
Milliardäre und Sklaven
Mit 169 Superreichen liegt Indien auf Rang drei der Länder mit den meisten Milliardären weltweit – hinter den USA und China. Einen traurigen Rekord bricht das Riesenreich allerdings im Bereich der Sklavenarbeit: 11 Millionen Menschen werden ausgebeutet, so viel wie nirgendwo anders auf der Welt. Ursache ist die Schuldknechtschaft, die zwar gesetzlich verboten ist, aber in der Gesellschaft geduldet wird. Es trifft die Menschen, die sich wegen hoher Ausgaben für beispielsweise eine Hochzeit, eine Krankheit oder in Folge eines Todesfalls finanziell ruinieren. Sie oder ihre Angehörigen müssen dann die Schulden abarbeiten. Die Schuldknechthaft und damit die Sklaverei wird zuweilen auf die Kinder vererbt.
Inder im Goldrausch
Nirgends gibt es so viel Gold wie in Indien. Allein in den Privathaushalten liegen geschätzt 20'000 Tonnen. Das sind elf Prozent des weltweiten Goldvorkommens und mehr als die Goldreserven vom internationalen Währungsfonds, von den USA, von Deutschland und der Schweiz zusammen. Ihr Wert: eine Billion US-Dollar. Bis zu 800 Tonnen Gold jährlich, etwa ein Fünftel der Weltproduktion, wird nach Indien importiert. Grund des Goldrauschs ist der kostbare Schmuck als Mitgift an die Bräutigame.
Der Käse mit der Kuh
Kühe sind heilig im Hinduismus. Indiens 45 Millionen Rinder dürfen nicht geschlachtet werden. In manchen Bundesstaaten ist der Verzehr gesetzlich verboten. In Westbengalen haben Kühe sogar einen eigenen Ausweis mit Foto. Weil immer wieder Rinder nach Bangladesch geschmuggelt werden, um sie dort zu verkaufen, liess Indien 30'000 Grenzwächter postieren. Dafür blüht das Milchgeschäft. Indien produziert 150 Milliarden Liter im Jahr. Auch Kuh-Urin und Kuh-Fladen gehen weg wie warme Weggli. Kuh-Urin gilt als Heilmittel, und der Fladen dient als Dünger und Brennstoff.