In einem seiner seltenen Interviews erklärte Qassem Soleimani vor Jahren, man müsse in seinem Beruf «immer mit dem Tod rechnen». Dass er ihm am frühen Freitagmorgen begegnen würde – damit rechnete der sonst so misstrauische Kommandeur der iranischen Al-Quds-Brigaden wohl kaum.
Wahrscheinlich hatte sich der Meister der asymmetrischen Kriegsführung, dem Kampf gegen weit überlegene Gegner, darauf verlassen, dass nicht einmal Donald Trump diese ungeschriebene rote Linie des US-iranischen Dauerkonflikts überschreiten würde.
Hoch über dem Flughafen von Bagdad hatte eine mit dem Codenamen Reaper (Sensenmann) bezeichnete Drohne die letzten Bewegungen des Brigadegenerals überwacht. Die Landung des Privatjets mit Soleimani an Bord ebenso wie die Fahrzeuge, mit denen der irakische Milizenchef Abu Mahdi al-Muhandis ihn und Vertraute ins Zentrum Bagdads bringen wollte.
Selbst beim EDA in Bern war man ahnungslos
Um 2.45 Uhr mitteleuropäischer Zeit – der kleine Konvoi hatte das Rollfeld erst wenige Hundert Meter hinter sich – feuerte die Drohne auf persönlichen Befehl des US-Präsidenten drei Lenkraketen ab.
Qassem Soleimani und seine Begleiter waren auf der Stelle tot.
Wieder einmal hatte es Trump nicht für nötig befunden, seine Entscheidung mit den Verbündeten der USA abzustimmen. Selbst beim EDA in Bern, das mit seinen guten Diensten seit vier Jahrzehnten die diplomatischen Interessen der USA im Iran vertritt, war man ahnungslos.
Politisches Erdbeben im Nahen Osten
Das Ergebnis: Washington ist heute international stärker isoliert als beim Einmarsch in den Irak vor 17 Jahren. Trumps Solidaritätsappelle blieben ohne positives Echo.
Der Grund: Die gezielte Tötung des Chefs der Al-Quds-Brigaden löste im Nahen Osten ein politisches Erdbeben aus. Folgt nun ein veritabler Krieg? Wird der Irak zum finalen Schlachtfeld der Entscheidung zwischen Teheran und Washington?
Sicher ist: In diesen Stunden wird das Handeln auf beiden Seiten weniger von rationalen Motiven bestimmt als von geostrategischen Ängsten.
Zweitmächtigster Mann im Iran
Im Iran war Soleimani ein Volksheld. Der Chef aller ausländischen Militär- und Geheimdienstoperationen war allein Ayatollah Ali Chamenei unterstellt. Der alte, schwer kranke Revolutionsführer hatte ihn als «lebenden Märtyrer der Revolution» für höhere Weihen empfohlen und damit zum zweitmächtigsten Mann des schiitischen Gottesstaats gemacht. Soleimani wurde bereits als möglicher Nachfolger von Präsident Hassan Rohani gehandelt.
In seinen letzten Monaten aber begann Soleimani, um seine Mission im Dienst der Islamischen Revolution zu fürchten. Die von den USA verhängten Wirtschaftssanktionen hatten sich als wirksam erwiesen: Die Wut der Iraner gegen das von Soleimani standhaft verteidigte Regime wuchs.
Zum ersten Mal, seit er Anfang der 90er-Jahre das Kommando über die Al-Quds-Brigaden übernommen hatte, begann es in seinem Einflussbereich, dem «schiitischen Halbmond» an allen Ecken und Enden zu harzen. Nicht nur im Irak und dem Libanon haben die Menschen genug von der Bevormundung durch Teheran.
Auch deswegen war Soleimani nach Bagdad gereist: Er hatte der schiitischen Miliz Kataib Hisbollah den Raketenangriff auf einen US-Stützpunkt befohlen, bei dem ein US-Angestellter starb. Im Anschluss liess er die Lage im Irak mit dem Sturm wütender Schiiten auf die US-Botschaft eskalieren.
USA kämpfen um ihre Rolle im Nahen Osten
Jetzt wollte der General den Druck auf die USA mit neuen Provokationen erhöhen. Immer im Glauben, den militärisch übermächtigen Gegner mit seiner Kunst der Nadelstiche in Schach halten zu können.
Es war ein tödlicher Irrtum! Die Bilder vom Bagdader Botschaftssturm lösten in Washington zwar die gewollten Erinnerungen an die schmachvolle Besetzung der US-Botschaft in Teheran vor 40 Jahren aus. Den entscheidenden Unterschied aber hatte Soleimani übersehen: Anders als in der Vergangenheit kämpfen die USA heute auch im Irak um die Reste ihrer geostrategischen Rolle im Nahen Osten.
Zeitgleich mit Trumps Twitterschwur, dass er ungeachtet des Drohnenangriffs auf Frieden mit dem Iran hoffe, gab das Pentagon die Verlegung weiterer 3500 Elitesoldaten in die Krisenregion bekannt. Zusätzlich sind Flugzeugträgerverbände und Amphibienschiffe der Marines auf dem Weg in den Golf, darunter auch das Landungsschiff USS Bataan, das während des Antiterrorkriegs der USA zeitweise als geheimer schwimmender Folterkerker für gefangene Terroristen diente.
Katjuscha-Raketen sind allenfalls Vorgeplänkel
Dass Teheran auf die Tötung Soleimanis reagieren muss, war allen klar. Bis Redaktionsschluss wurde der Einschlag von zwei Katjuscha-Raketen auf einem Militärstützpunkt nördlich von Bagdad und von Mörsergranaten in der «Grünen Zone» der Hauptstadt verzeichnet, dort liegt auch die US-Botschaft. Bei den Angriffen gab es keine Opfer. Klar ist aber: Es war allenfalls ein Vorgeplänkel. Die pro-iranischen Hisbollah-Brigaden im Irak haben die irakischen Truppen aufgefordert, sich bis Sonntagnachmittag auf Stützpunkten mit US-Soldaten im Irak zu entfernen.
Soleimanis Tod hat das Regime empfindlich getroffen. Die vom iranischen Fernsehen gezeigten Trauer- und Wutmärsche mit Tausenden Teilnehmern mögen nicht durchwegs spontan gewesen sein. Doch Revolutionsführer Chamenei hat mit seinem Schwur von «jahrelanger und fürchterlicher» Rache beim öffentlichen Freitagsgebet jedem Gedanken an Verhandlungen eine Absage erteilt.
Iran verdient auch in Venezuela sein Geld
Schon hat Soleimanis Stellvertreter, Brigadegeneral Esmail Ghaani, das Kommando über die Al-Quds-Brigaden übernommen. Auch er setzt ganz auf asymmetrischen Widerstand, das von Soleimani zur Perfektion entwickelte Arsenal kalkulierter Nadelstiche. Ghaanis strategischer Vorteil: Er allein bestimmt Zeit, Ort und Akteure seiner Angriffe.
Das Operationsgebiet der vom Iran finanzierten, ausgerüsteten und beratenen iranischen Stellvertreterarmeen reicht vom Libanon, dem Irak und Syrien über den palästinensischen Gazastreifen und Jemen bis Westafrika und Venezuela, wo die libanesische Hisbollah erfolgreich im Drogen-, Geldwäsche- und Waffengeschäft mitmischt und damit zumindest einen Teil der Gelder verdient, die sie für Kämpfer und Waffen ausgibt.
Auf Dauer, davon geht die Mehrheit der geopolitischen Fachleute aus, hat Washington die schlechteren Karten. Denn obwohl der Iran die USA militärisch nicht besiegen kann – solange sich die Ayatollahs nicht geschlagen geben, werden sie die Gewinner dieses Konflikts sein.