Seit Wladimir Putin (69) die Invasion der Ukraine angeordnet hat, halten ihn viele für irre. Es kursiert sogar das Gerücht, dass sich der russische Präsident seit dem Beginn der Corona-Pandemie in einem Bunker verschanzt habe und dort verrückt geworden sei. Der ehemalige US-Sicherheitsberater John Bolton (73) findet aber, dass Putin bisher alles andere als irre agiert.
Bolton hat sich bereits mehrere Male mit dem russischen Herrscher getroffen. Und so habe er ihn auch als kaltblütigen, rationalen Denker kennengelernt, wie er in einem Interview mit dem «Spiegel» erklärt. Dabei stimme das Vorgehen in der Ukraine lediglich mit dem überein, was Putin schon immer gesagt habe. Auch die Rede Putins, in der er die Ukraine zu einem Teil Russlands erklärt hat, habe er schon oft so ähnlich gehört, etwa vom russischen Aussenminister Sergej Lawrow (71).
Putin hat sich mit der Invasion verrechnet
Aus diesem Grund glaubt er auch nicht, dass der russische Präsident verrückt geworden ist: «Ich weiss, dass im Moment viele denken, dass Putin eine Schraube locker hat. Ich bin kein Psychologe, aber ich glaube nicht, dass das stimmt.» Viel eher ziehe Putin nun durch, was er schon immer angekündigt habe.
Aber auch der ehemalige Sicherheitsberater findet, dass sich Putin mit der Invasion verrechnet hat. Seiner Meinung nach will Russland nur einen Teil der Ukraine erobern, weshalb das Militär auch falsch vorgegangen sei. Bolton zum «Spiegel»: «Die russische Armee hat den Fehler gemacht, sich nicht auf ein Ziel zu konzentrieren, was zu dem Chaos geführt hat, das wir nun sehen.»
«Er will die östlichen und südlichen Teile der Ukraine»
Dazu komme aber auch, dass die russische Armee längst nicht so modernisiert und fortgeschritten sei, wie man immer geglaubt habe. Es gibt zusätzlich auch erstaunliche logistische Schwierigkeiten bei den Russen. Nicht zuletzt sei die verrechnete Invasion laut dem Sicherheitsexperten aber auch den Ukrainern zu verdanken. «Dazu kommt, dass die ukrainische Armee bisher einen grossartigen und tapferen Kampf führt.»
Bolton geht davon aus, dass Putin nicht die gesamte Ukraine erobern will. «Ich glaube, Putin will die östlichen und südlichen Teile der Ukraine, wo vor allem die russischsprachigen Ukrainer leben. Und er will die totale Kontrolle über die Nordküste des Schwarzen Meeres, die er ja fast schon besitzt».
Dass es überhaupt so weit gekommen ist, sei die Schuld des Westens, so der Ex-Berater von Trump. Denn den Krieg hätte man nach der russischen Invasion in Georgien im Jahr 2008, oder spätestens nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 vorhersehen müssen. Zudem habe Putin bereits abschätzen können, was für Reaktionen der Westen auf eine Invasion der Ukraine ergreifen würde.
Europa muss froh sein, dass USA noch auf seiner Seite ist
Nach den Militäraktionen 2008 und 2014 habe der Westen nämlich «keine ernst zu nehmenden Strafen verhängt». Und so, meint Bolton, konnte Putin eine einfache Kosten-Nutzen-Analyse durchführen und sehen, dass sich eine Invasion lohnen würde. Die Sanktionen sind dieses Mal zwar wesentlich härter als in der Vergangenheit, aber der Westen hätte wohl noch viel härtere Massnahmen ergreifen müssen, findet Bolton.
Ihm zufolge muss Europa ohnehin froh darüber sein, dass die USA noch immer auf seiner Seite ist. In den USA gäbe es aktuell nämlich eine Bewegung, die fordere, dass sich die USA von Europa abwenden soll, um sich auf das immer mächtiger werdende China konzentrieren zu können. Auch konnte Donald Trump bei einem Nato-Gipfel in Brüssel im Jahr 2018 nur mit Mühe davon abgebracht werden, aus dem Bündnis auszusteigen. (obf)