Die Europawahlen an diesem Wochenende stehen unter einem besonderen Stern. Zum ersten Mal können in den vier EU-Ländern Deutschland, Belgien, Österreich und Malta schon 16-Jährige und in Griechenland 17-Jährige ihre Stimme abgeben. Galten die Wahlen vor fünf Jahren noch als «Klimawahl», steht bei der Generation Z nun ein anderes Thema mit Abstand zuoberst.
Bei der Sorge Nummer eins der Jugendlichen handelt es sich laut Umfragen um die Migration. Wie Studien zeigen, ist die Mehrheit der Jugendlichen ihr gegenüber kritisch eingestellt. Somit werden die Jungen den erwarteten Rechtsrutsch des EU-Parlaments unterstützen.
Der deutsche Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler Klaus Hurrelmann ist Mitautor der Trendstudie «Jugend in Deutschland». Er spricht bei den Jugendlichen von einer Wahrnehmung eines unkontrollierten Zustroms von Flüchtlingen sowie von einer Unzufriedenheit mit der Regierung.
Die Befragung von rund 2000 Personen zwischen 14 und 29 Jahren Ende April hat ergeben, dass bei den jungen Deutschen die AfD mit 22 Prozent am meisten Zuspruch erhält, gefolgt von der CDU/CSU (20), den Grünen (18) und der SPD (12). Für Hurrelmann ist es offensichtlich: «Es gibt einen deutlichen Rechtsrutsch in der jungen Bevölkerung.»
Pessimistische Jugend
Die Jungen sind so pessimistisch wie noch nie. Die von der Tui-Stiftung in sechs Ländern in Auftrag gegebene Studie «Junges Europa 2024» zeigt, dass sie sich gegenüber Alten häufig benachteiligt und von der Politik nicht ausreichend vertreten fühlen. Aus diesem Frust heraus würden sie empfänglich für populistische Argumente, heisst es.
Junge würden zwar grosse Stärken in der Demokratie als Staatsform erkennen, seien aber oft wegen der Spannungen zwischen links und rechts mit dem Status quo der Demokratie in ihrem Land nicht zufrieden. Zwei von fünf der Befragten sähen deswegen sogar die Demokratie in Gefahr.
Junge als Seismografen
Insgesamt sind dieses Jahr rund 360 Millionen Personen wahlberechtigt. Rund 25 Millionen dürfen zum ersten Mal wählen – darunter eben auch rund 2 Millionen 16- und 17-Jährige in fünf Ländern. Laut Hurrelmann haben diese U18-Wähler zwar zahlenmässig keinen grossen Einfluss auf den Ausgang der Wahl. Doch er sagt: «Ihre Entscheidung ist von grosser Bedeutung, weil sie in der Regel als Erstwähler intuitiv Akzente setzen, die sich meist in der übrigen Wählerschaft nach einiger Zeit ebenfalls abzeichnen.»
Hurrelmann bezeichnet diese Jungwähler als «Seismografen», die zukünftige Strömungen voraussagen. «Deshalb wird es wichtig sein, ihre Stimmen genau zu analysieren, weil sie Zukunftstrends markieren.»
Bei den Wahlen 2019 lag die Stimmbeteiligung bei 50,7 Prozent. Dieses Jahr dürfte sie wegen der angespannten Weltlage generell etwas höher ausfallen. Bei den Jungwählern schätzt Hurrelmann die Wahlbeteiligung auf knapp 50 Prozent, wobei sie bei den gut gebildeten Wählern eher höher und den weniger gebildeten Wählern tiefer liegen dürfte.
Brüssel bezieht Jugend mit ein
Die Motivation zum Wählen hänge bei den Erstwählern in der Regel davon ab, ob sie den Eindruck haben, dass sie mit ihrer Stimme etwas bewirken könnten. Hurrelmann: «Bei der Europawahl ist dieser Eindruck nur schwach, da ein mental weit entferntes Parlament gewählt wird, von dem man im Alltag nicht viel hört.»
Dessen ist man sich in Brüssel bewusst. Man will daher die Jugend generell mehr einbinden. So wie es einzelne EU-Staaten schon kennen, will auch die EU-Kommission einen «Jugend-Check» einführen. Das bedeutet, dass bei der Planung von Gesetzen die Auswirkungen auf die junge Generation berücksichtigt werden sollen.
Die 27 EU-Staaten sind seit Donnerstag am Wählen. Trends in den einzelnen Ländern werden laufend veröffentlicht. Erste Hochrechnungen der Zusammensetzung des wegen des Brexits auf 720 Sitze geschrumpften EU-Parlaments sind am Sonntag ab 18 Uhr zu erwarten und werden auf www.blick.ch veröffentlicht.