Nationalistisch, EU-kritisch und migrationsfeindlich: Die rechten Parteien Europas haben viele Gemeinsamkeiten. Aber sie haben auch Differenzen. So heftige sogar, dass sie kurz vor den EU-Wahlen, die vom 6. bis 9. Juni stattfinden, in Streit geraten.
So hat der französische Rassemblement National (RN), der inzwischen von Marine Le Pens (55) Nachfolger Jordan Bardella (28) präsidiert wird, mit der deutschen AfD gebrochen. Bardella sagte, er wolle nicht mehr mit der AfD im Parlament «sitzen».
Grund: AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah (47), dessen persönlicher Mitarbeiter wegen Spionageverdachts festgenommen worden war, hat in einem Interview gesagt, dass ein SS-Mann «nicht automatisch kriminell» gewesen sei. In Frankreich wirft man ihm deswegen eine Verharmlosung der Nazi-Verbrechen vor. Eine weitere Zusammenarbeit wäre für Le Pen mit Blick auf die nächsten Präsidentschaftswahlen nicht gerade förderlich.
Der Streit hatte schon im November 2023 begonnen, als die AfD ein Geheimtreffen zum Thema «Remigration» organisierte. Marine Le Pen distanzierte sich davon und drohte mit einem Ende der Zusammenarbeit. Der RN, die AfD sowie die österreichische FPÖ bilden im EU-Parlament die Rechtsaussenfraktion Identität und Demokratie (ID), die nun zu zerfallen droht.
Zu nahe am Kreml
Der Streit zwischen dem RN und der AfD ist lange nicht die einzige Differenz unter den europäischen Rechten. Streit gibts auch wegen der Finanzpolitik sowie wegen des Verhältnisses zu Russland.
So sprach die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (47) Anfang Jahr von «unüberbrückbaren Differenzen» zwischen ihrer rechten Partei Fratelli D’Italia (Brüder Italiens) und der AfD. Ihr ging die Nähe der AfD zum Kreml zu weit. Die AfD übernimmt nicht nur prorussische Positionen, es wird auch vermutet, dass Politiker aus dem Kreml Geld erhalten.
Enge Beziehungen zu Moskau unterhalten auch die österreichische FPÖ, der französische RN und die ungarische Fidesz. Ganz anders als etwa die polnische PiS und die Finnenpartei, welche die russische Bedrohung wegen der geografischen Nähe selber miterleben und jede Annäherung an Moskau ablehnen.
Streit um Finanzierungshilfen
In der Finanzpolitik kommt den Rechtsparteien der individuelle Nationalismus in die Quere. Philip Rathgeb, Ökonom an der University of Edinburgh, schreibt auf intereconomics.eu, einer Plattform für europäische Wirtschaftspolitik: «Rechtsextreme Parteien sind sich einig in ihrem Streben nach grösserer wirtschaftlicher Souveränität im eigenen Land, aber es ist diese nationalistische Sichtweise, die zu Uneinigkeit unter ihnen führt.»
Dabei ortet er ein klares Nord-Süd-Gefälle. Südeuropäische Länder, die besonders unter den Folgen der Wirtschaftskrise litten, hofften auf Unterstützung aus besser gestellten EU-Staaten, um die Schulden zu tilgen und die wirtschaftliche Unabhängigkeit wieder herstellen zu können. «Im Gegensatz dazu sehen die nordeuropäischen Länder, die Geld leihen, diese Massnahme als Eingriff in die nationale Selbstbestimmung», hält Rathgeb fest.
In den deutschsprachigen Ländern hätten daher rechtsextreme Parteien die gemeinsame Schuldenaufnahme mit Eurobonds und Coronabonds sowie Ausgleichszahlungen bei der Eurokrise und bei Corona abgelehnt. Mit gerichtlichen Mitteln wollte die AfD auch den billionenschweren Wiederaufbaufonds «NextGenerationEU» (NGEU) verhindern, mit dem die Folgen der Pandemie eingedämmt werden sollen.
Darum sind die Rechten auf dem Vormarsch
Damit Staaten ihre Finanzen besser im Griff haben, fordern AfD und FPÖ zudem Strafen für Haushaltsdefizite. Solche Strafmassnahmen wiederum werden von rechtsextremen Parteien in Belgien, Frankreich und Italien abgelehnt.
Keine Front in Sicht
Rechtsaussen-Parteien könnten bei den Europawahlen im Juni in neun Ländern stärkste Kraft werden, so etwa in Frankreich, Italien und den Niederlanden. Das sagt der einflussreiche bulgarische Politologe Ivan Krastev, Leiter des Centre for Liberal Stategies in Sofia, in einem Interview auf spiegel.de.
Doch herrschte bei den Wahlen 2019 noch die Angst vor einer rechten Front, habe sich bald gezeigt, dass die rechtsextremen Parteien teilweise stark auseinanderdrifteten und sich auch unterschiedlich entwickelten. Krastev bilanziert: «Eine rechte Einheitsfront gibt es in Europa nicht – zumindest keine mit gleichen Ideen, Perspektiven und Wählergruppen.»