Die Strassen sind leergefegt, an den Strassenlampen hängen riesige Plakate von Wladimir Putin (71): Die nordkoreanische Hauptstadt Pjöngjang hat sich für den Besuch des russischen Präsidenten herausgeputzt. Putin besucht Diktator Kim Jong Un (40) am Dienstag und Mittwoch. Anschliessend reist er weiter nach Vietnam.
Wenn Putin Nordkorea besucht, läuten im Westen die Alarmglocken. Was plant der Kreml-Chef auf seinem «freundschaftlichen Staatsbesuch» beim unberechenbaren nordkoreanischen Diktator? Das Weisse Haus und Experten sind überzeugt: Es könnte zu einem gefährlichen Deal und zu bösen Überraschungen kommen.
Putin und Kim sind nach jahrelangen frostigen Zeiten zwischen den beiden Ländern seit rund zwei Jahren wieder miteinander im Geschäft. Nordkorea liefert Moskau für den Krieg in der Ukraine dringend benötigte Munition. 3,5 bis 5 Millionen Granaten sollen es bisher laut dem südkoreanischen Geheimdienst gewesen sein. Das entspricht mehr als einer in Russland möglichen Jahresproduktion von geschätzten 3 Millionen Geschossen.
Auch Raketen aus nordkoreanischer Produktion werden in die Ukraine abgefeuert, wie gefundene Trümmerteile beweisen. Als Dank für die Munition gab es von Russland Öl und Nahrungsmittel für Nordkorea.
Moderne Atom-Technologie
Beim aktuellen Besuch dürfte es Putin und Kim aber um noch mehr gehen. Victor Cha, Vizepräsident für den Lehrstuhl Asien und Korea am Center für Strategic and international Studies in Washington D.C. (CSIS), warnt: Kim braucht Technologien für Atom-U-Boote, Satelliten und Interkontinentalraketen.
Dass Putin solche Geschenke mitbringen könnte, begründet Cha unter anderem damit, dass russische Wissenschaftler beim Start eines nordkoreanischen Militärsatelliten dabei waren, der vor wenigen Wochen ins All geschickt wurde. Zudem habe sich Kim auch zufrieden mit seinen Plänen für Atom-U-Boote gezeigt, was laut Cha «ein sehr schlechtes Zeichen» ist.
Cha schreibt deshalb in einem Beitrag des CSIS: «Interkontinentalraketen mit modernen Abwehrmassnahmen, Aufklärungsfähigkeiten im All und Atom-U-Boote würden es Kim ermöglichen, die gesamten Vereinigten Staaten mit einer Atomkraft anzugreifen, die Washington nur schwer mit einem präventiven Erstschlag abwehren könnte.»
Militärische Aktionen auf der Halbinsel?
Auch ein anderes brisantes Thema dürfte in Pjöngjang auf der Traktandenliste stehen: eine militärische Überraschungsaktion. Das schreibt Frederic Spohr, Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Seoul, in einem Beitrag auf focus.de. Offenbar geht das Weisse Haus noch vor den US-Wahlen im November von einer gewaltigen Provokation Nordkoreas auf der koreanischen Halbinsel aus.
Der Grund: beide Länder könnten von Unruhen auf der koreanischen Halbinsel profitieren. Russland, weil ein weiterer Krisenherd geöffnet würde, um den sich die USA kümmern müssten, und Nordkorea, weil es eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber einer neuen US-Regierung erreichen könnte.
Druck auf Kim erhöhen
Wie kann man Kim stoppen? Das sei nicht einfach, meint Experte Victor Cha und verweist darauf, dass Kim über 20 Versuche der US-Regierung, Gespräche aufzunehmen, abgewiesen hat. Als einzige Möglichkeit sieht er, dass die G7- und die Nato-Staaten den wirtschaftlichen und diplomatischen Druck auf Pjöngjang nochmals erhöhten.
«In einem ersten Schritt sollten Massnahmen, wie sie auf dem G7-Gipfel in Italien gegen russische und nordkoreanische Finanzinstitute ergriffen wurden, ausgeweitet werden, um den Waffenhandel zu unterbinden», schreibt Cha. Während die USA zu Nordkorea keine diplomatischen Beziehungen unterhalten, stehen die meisten europäischen Regierungen mit Pjöngjang in Kontakt.
Ebenfalls soll das Weisse Haus auf Peking einwirken, das die engen Bande zwischen Moskau und seinem Juniorpartner Nordkorea nicht gerne sieht. Cha: «China ist nach wie vor die wirtschaftliche Lebensader Nordkoreas und könnte sich an den Sanktionen beteiligen.»
Und noch eine Hoffnung gibt es: dass es, trotz aller Annäherung, erst gar keine neuen Deals gibt. Denn obwohl Putins Reise nach Pjöngjang als «freundschaftlicher Staatsbesuch» betitelt wird, macht der gemeinsame Hass auf den Westen aus langjährigen Feinden noch keine wahren Freunde.