Vor einer Woche tötete Abdesalem L.* (45) in der belgischen Hauptstadt Brüssel mit einem Gewehr zwei Menschen und verletzte eine weitere Person schwer. Die Ermittler gehen von einer terroristisch motivierten Tat aus. Am Dienstagmorgen wurde der Tunesier in einem Café von der Polizei gefasst. Er wurde bei der Festnahme angeschossen und mit Verletzungen im Brustbereich ins Spital gebracht. Doch Abdesalem L. überlebte nicht. Er erlag noch im Rettungswagen seinen Verletzungen.
Der gebürtige Tunesier wohnte in der Gemeinde Schaarbeek. Noch am Abend durchsuchten Spezialeinheiten seinen Wohnsitz. Seine Frau wurde von der Polizei festgenommen. Sie wurde laut Medienberichten die ganze Nacht über verhört. Das Café, wo L. am Tag nach der Bluttat geschnappt wurde, befindet sich ebenfalls in Schaarbeek.
Wie es von der französischen Anti-Terror-Staatsanwaltschaft am Montagabend hiess, sind im Zusammenhang mit dem Attentat in Brüssel zwei Verdächtige einem Ermittlungsrichter vorgeführt worden. Es wurden Ermittlungen wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gegen sie gefordert. Sie werden verdächtigt, eine Verbindung zum Attentäter zu haben, die noch untersucht werde. Zwei weitere Verdächtige, die in Frankreich zunächst in Gewahrsam waren, kamen auf freien Fuss.
In Tunesien von Gericht verurteilt
Abdesalem L. hielt sich illegal in Belgien auf. Zwar hatte er dort 2019 Asyl beantragt, der Antrag war 2020 jedoch abgelehnt worden. «Kurz darauf verschwand er vom Radar», sagte die belgische Staatssekretärin für Migration, Nicole de Moor. Im März 2021 wurde ihm mitgeteilt, er solle ausreisen.
Doch der Tunesier dachte nicht daran. Im Juni 2022 wurde er in einer Moschee in Brüssel gesichtet. Einige Monate später meldete der Bewohner eines Asylzentrums, er sei über Social Media von dem Nordafrikaner bedroht worden.
Daraufhin kam heraus, dass L. in seiner Heimat auch schon vor Gericht stand und auch verurteilt wurde. Aber nicht – wie zunächst angenommen – wegen Straftaten in Zusammenhang mit Terrorismus. Wie die schwedische Tageszeitung «Expressen» berichtet, wurde er 2005 wegen zweifachen Mordversuchs zu 28 Jahren Haft verurteilt und hätte zum Zeitpunkt der Brüssel-Tat im Gefängnis sein müssen.
Tunesien soll demnach im Sommer 2022 seine Auslieferung aus Belgien gefordert haben. «Wegen unglücklicher Umstände ist das leider nicht passiert», erklärte der belgische Staatsanwalt Johan Delmulle. Was das konkret bedeutet, verriet Demulle nicht.
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Polizeibekannt, aber nicht überwacht
Bereits im Jahr 2016 habe eine «ausländische Polizeibehörde» den Belgiern Informationen übermittelt, wonach der Mann ein radikalisiertes Profil habe und in ein Konfliktgebiet in den Dschihad ziehen wolle. Das gab der inzwischen zurückgetretene belgische Justizminister Vincent Van Quickenborne am Dienstag bekannt. «Es gab damals unzählige Meldungen dieser Art, es gab Dutzende solcher Meldungen pro Tag», sagte der Minister. Sie seien ohne Ergebnis überprüft worden. «Darüber hinaus gab es, soweit unseren Diensten bekannt, keine konkreten Hinweise auf eine Radikalisierung.»
Der Mann war der Polizei zwar im Zusammenhang mit Menschenhandel, illegalem Aufenthalt und Gefährdung der Staatssicherheit aufgefallen. Aber das war offenbar zu wenig, um ihn zu überwachen. Eine Fehleinschätzung, wie sich nun zeigte.
Auf seiner inzwischen gelöschten Facebook-Seite nannte er sich Slayem S.*. Dort hatte er mehr als 3000 Freunde. Zum Zeitpunkt des Angriffs veröffentlichte er ein Video, in dem er auf Arabisch dem Islamischen Staat (IS) die Treue schwor und verkündete, er habe «drei Schweden» angegriffen. Ferner bezeichnete er sich als «Krieger auf dem Weg zu Allah».
Abdesalem L. schaute Verschwörungsvideos zu Schweden
Am Dienstag berichtete «DH» unter Berufung auf die Bundesanwaltschaft zudem, dass ein Zusammenhang mit der Situation in Israel und den palästinensischen Gebieten nicht ausgeschlossen werden könne. Es habe sich herausgestellt, dass Abdesalem L. in den sozialen Medien eine Reihe von Botschaften zur Unterstützung des palästinensischen Volkes geteilt hat. Am Montagabend hatte es noch geheissen, es gebe keine Verbindung zum Nahost-Konflikt. Weitere Ermittlungen müssten nun die genauen Motive des Terroristen aufdecken.
Auch ein Zusammenhang mit der Situation in Schweden sei «sehr, sehr wahrscheinlich», berichtete «Het Laatste Nieuws» unter Berufung auf Polizeikreise und politische Quellen. Dort hatten Koranverbrennungen in den vergangenen Monaten für Spannungen gesorgt.
Belgiens Premierminister Alexander De Croo sagte: «Er nahm gezielt Schweden ins Visier.» Der mutmassliche Todesschütze hatte auch einen Tiktok-Account, folgte dort unter anderem auch einem anti-schwedischen Profil namens «Sweden Injustice». «Sweden Injustice» teilt zahlreiche Verschwörungstheorien, behauptet etwa ohne Belege, muslimische Kinder würden von schwedischen Sozialdiensten entführt.
Abdesalem L. hielt sich laut der schwedischen Migrationsbehehörde zwischen 2012 und 2014 unter teilweise unterschiedlichen Identitäten illegal in Schweden auf. Während dieser Zeit soll er in einem schwedischen Gefängnis gewesen sein, berichtet Sveriges Radio. Er war wegen Drogenbesitzes zu zwei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt worden. Abdesalem L. sei nach Verbüssung der Haftstrafe gemäss der Dublin-Verordnung in ein anderes EU-Land überstellt worden. Angaben über die Straftat des Mannes und die Länge des Gefängnisaufenthalts macht die schwedische Migrationsbehörde nicht.
* Name bekannt