Drei Niederlagen vor Gericht
Wurde diese Woche das Ende der Ölindustrie eingeleitet?

Die Energie-Riesen müssen sich von Öl, Gas und Kohle verabschieden. Das machten die letzten Tage deutlich. Klima-Aktivisten gewannen vor Gericht, Investoren wollen lieber erneuerbare Energien, sogar der eigene Verband hat genug von fossilen Brennstoffen.
Publiziert: 28.05.2021 um 19:28 Uhr
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Aktualisiert: 28.05.2021 um 20:46 Uhr
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Exxon Mobile und andere Ölfirmen erlitten die Woche grosse Niederlagen.
Foto: AFP
Fabian Vogt

Im Kampf gegen die Erderwärmung könnte der vergangene Mittwoch einer der symbolträchtigsten Tage überhaupt gewesen sein. Während die Ölindustrie ein riesiges Debakel erlebte, feiern die Klima-Aktivisten weltweit. Gleich drei historische Entscheidungen in Grossfirmen scheinen klarzumachen: Das bisherige Narrativ, dass weniger Öl zu gravierenden ökonomischen Folgen führt, muss künftig hinter den ökologischen Folgen der Verbrennung fossiler Brennstoffe (Kohle, Gas, Öl) anstehen.

Entscheidung 1: Exxon muss Aktivisten in den Verwaltungsrat lassen

Exxon Mobil ist die grösste Ölfirma der Welt: Knapp 75’000 Mitarbeiter, geschätzter Jahresumsatz: 255 Milliarden Dollar. Nun wurde er vom verhältnismässig kleinen Hedgefonds «Engine No. 1» in die Knie gezwungen. Dessen Ziel: eine Strategieänderung beim einst grössten Unternehmen der Welt zu erzwingen. Es soll vermehrt auf erneuerbare Energien gesetzt werden, um langfristig profitabel zu sein.

Bis 2050 sollen überhaupt keine Kohlenstoff-Emissionen mehr ausgestossen werden. Um das zu erreichen, wollte «Engine No.1» vier von zwölf Sitzen im Verwaltungsrat mit eigenen Leuten besetzen. Etwas, das Exxon-Chef Darren Woods unter allen Umständen verhindern wollte. Er wollte nach noch mehr Öl bohren, überzeugt, die bisherige Strategie sei – trotz Rekordverlust im letzten Jahr und grossen Problemen schon vor Corona – richtig. Zudem wurden öffentlich die Engine-Kandidaten als «ungenügend» abqualifiziert. Am Mittwoch kulminierte alles in einer Abstimmung.

Zuerst verschob das Unternehmen diese um eine Stunde, rief Investoren an und warnte sie davor, Opfer eines solchen strategischen Plots zu werden. Doch David gewann gegen Goliath. Engine No. 1 konnte zwei seiner Kandidaten in den Verwaltungsrat bringen. Was dazu führen dürfte, dass Exxon seine Strategie ändern, die Ölproduktion zurückfahren und vermehrt auf erneuerbare Energien setzen muss. Vier Sitze sind derzeit noch vakant, Engine No. 1 schielt auch auf diese.

Entscheidung 2: Shell verliert vor Gericht

In den Niederlanden wurde gleichentags entschieden, dass der Ölkonzern Royal Dutch Shell seine Emissionen bis 2030 um 45 Prozent gegenüber dem Stand von 2019 reduzieren muss. Die Zulieferer und Abnehmer der Rohstoffe müssen da mitberücksichtigt werden. Das Bezirksgericht Den Haag urteilte, dass der anglo-holländische Energieriese eine Sorgfaltspflicht zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen hat und dass seine aktuellen Reduktionspläne bisher nicht konkret genug waren.

Das Urteil könnte zum Präzedenzfall für Klagen wegen Umweltverschmutzung gegen multinationale Firmen werden. Entsprechend jubelten Umweltschützer. «Zum ersten Mal in der Geschichte wurde ein Konzern verpflichtet, seiner Verantwortung für die Klimakrise gerecht zu werden und seine Emissionen radikal zu reduzieren», sagte Olaf Bandt, Chef des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), nach dem Urteil. Shell zeigte sich enttäuscht über den Beschluss und kündigte an, Berufung einzulegen.

Entscheidung 3: Chevron-Aktionäre stimmen für Klima-Vorschlag

Der unglaubliche Tag für die Klimaaktivisten war damit noch nicht zu Ende. 61 Prozent der Chevron-Aktionäre stimmten am Mittwoch für einen Vorschlag, der den Ölkonzern auffordert, den Klimaschutz ernster zu nehmen. Nun muss der Konzern auch die sogenannten Scope-3-Emissionen senken. Das sind jene Emissionen, die nicht bei der Förderung von Öl und Gas anfallen, sondern bei deren Verbrennung. Chevron muss damit künftig auch darauf achten, was seine Kunden mit den Rohstoffen machen.

Mit diesen Entscheiden ist das Ende des schwarzen Goldes noch nicht besiegelt. Die grössten Ölfirmen sitzen mittlerweile ohnehin nicht mehr in Europa und den USA, sondern in China und Saudi-Arabien. Zudem schrauben bisher nur einzelne ihre Investitionen in neue Öl- und Gasprojekte herunter. Und die Investorenentscheide dürften hauptsächlich aus monetären Gründen entstanden sein. Denn der Energiesektor ist in den vergangenen Jahren gehörig ins Schlittern geraten. 2008 kamen 16 Prozent der S&P 500-Unternehmen – ein Index, der die Aktien der 500 der grössten börsennotierten US-Unternehmen umfasst – aus dem Energiebereich. Heute sind noch 2,5 Prozent der S&P 500-Unternehmen diesem Sektor zuzuordnen. Zwar dürften sich die Firmen nach der Corona-Epidemie erholen und zeigten im ersten Quartal 2021 entsprechende Ansätze. Doch um langfristig rentabel zu sein, dürfte das nicht mehr reichen.

Sogar die IEA will den Öl-Hahn zudrehen

Für die Befürworter der Öl-Industrie kommt es aber noch dicker. Die Internationale Energieagentur (IEA) legte vor wenigen Tagen einen Bericht vor, der nichts anderes zum Ziel hat, als das fossile Zeitalter bis 2050 zu beenden. Die Art und Weise, wie Energie weltweit produziert, transportiert und genutzt wird, müsse sich fundamental ändern, warnen die Experten. Ab sofort dürfte es de facto keine Investitionen in neue Öl-, Gas- und Kohleprojekte mehr geben, heisst es im Bericht der IEA. Dabei hat die Organisation, die in den 1970er-Jahren gegründet wurde, um Antworten auf die globale Ölkrise zu finden, erneuerbare Energieträger bisher eher stiefmütterlich behandelt

Nun aber will die IEA, dass 2050 zwei Drittel der gesamten Energieversorgung aus Wind, Sonne, Bioenergie, Geothermie und Wasserkraft stammen. Um bis dahin die Klimaneutralität zu erreichen, müssten die am wenigsten effizienten Kohlekraftwerke bis 2030 abgeschaltet und die verbleibenden Kohlekraftwerke, die bis 2040 noch in Betrieb sind, nachgerüstet werden. Zudem brauche es eine Politik, die den Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotor bis 2035 beende.

Die Zeit wird zeigen, wie lange ExxonMobile, Shell, Chevron und Konsorten ihr Kerngeschäft weiterführen können. Nach den jüngsten Entwicklungen wäre es allerdings sehr überraschend, würde das noch lange dauern.

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