In den USA verklagen die Eltern zweier Mädchen Tiktok. Sie sind der Meinung, dass die bei Jugendlichen beliebte Plattform für den Tod ihrer Kinder verantwortlich sei. Konkret geht es um die «Blackout Challenge» – ein gefährliches Erstickungsspiel, bei dem sich die Teilnehmer selber würgen, bis es ihnen schwarz vor Augen wird und sie in Ohnmacht fallen.
Die beiden Opfer, Lalani W.* (†8) aus Temple im Bundesstaat Texas und Arriani A* (†9) aus Milwaukee im Bundesstaat Wisconsin, haben ebenfalls bei der «Blackout Challenge» mitgemacht.
Die Familien glauben, dass der Tiktok-Algorithmus den Kindern absichtlich gefährliche Inhalte geliefert habe, die ihnen schliesslich das Leben kostete.
«Tiktok muss zur Rechenschaft gezogen werden»
In der Klage heisst es, Tiktok habe gewusst oder hätte wissen müssen, dass das Produkt süchtig mache, Kinder zu schädlichen Inhalten führe und dass die Plattform-Verantwortlichen es versäumt hätten, wesentliche Massnahmen zu ergreifen, um diese Videos zu stoppen oder Kinder und Eltern davor zu warnen.
«TikTok muss für die Verbreitung tödlicher Inhalte an diese beiden jungen Mädchen zur Rechenschaft gezogen werden», sagte Matthew Bergman zu «The New York Times». Er ist Anwalt und Gründer des Social Media Victims Law Center, einer privaten Anwaltskanzlei, die im November ins Leben gerufen wurde, um Social-Media-Unternehmen für die Schädigung von Kindern zur Verantwortung zu ziehen.
Challenge war laut Tiktok nie ein Trend
Tiktok will sich derweil nicht zu laufenden Verfahren äussern und verweist auf ein Statement zu einem früheren Fall. Damals hatte eine andere Mutter der Plattform ebenfalls vorgeworfen, Schuld am Tod ihrer zehnjährigen Tochter zu sein.
«Diese beunruhigende ‹Challenge›, von der die Leute anscheinend aus anderen Quellen als TikTok erfahren hatten, ist schon lange vor unserer Plattform entstanden und war nie ein Tiktok-Trend», sagte die Sprecherin. Bei Tiktok verspreche man, «wachsam zu bleiben» und entsprechende Inhalte sofort zu entfernen, wenn diese gefunden würden.
Mädchen wollte auf Tiktok berühmt werden
Die achtjährige Lalani W. wird in der Klageschrift als ein «süsses und aufgeschlossenes Kind» beschrieben, das sich gerne «als Prinzessin verkleidete und mit Make-up spielte.» Sie habe eine berühmte Rapperin werden wollen. Ihr Vorbild sei Cardi B. (29) gewesen. Ihr erstes Handy habe W. zu ihrem achten Geburtstag am 23. April 2021 erhalten, wobei sie schnell «süchtig» nach Tiktok wurde, heisst es im Dokument. Dort habe sie viele Videos von sich beim Singen und Tanzen gepostet – in der Hoffnung «berühmt auf Tiktok» zu werden.
Wenige Monate später seien dann offenbar Videos der gefährlichen Challenge in der App aufgetaucht. Am 13. Juli entdeckte ihre Familie blaue Flecken am Hals des Kindes. Doch das Mädchen erzählte, sie habe sich an ihrem Bettgestell gestossen. Zwei Tage später wurde die Achtjährige mit einem Strick um den Hals aufgefunden.
Nach ihrem Tod beschlagnahmte die Polizei das Telefon und das Tablet. Darauf fanden die Beamten dann zahlreiche Blackout-Challenge-Videos, die Lalani W. sich wiederholt angeschaut und anschliessend selber ausprobiert hatte, heisst es in der Klage.
Auch in der Schweiz ein Thema
Das zweite Opfer hatte sein Handy seit dem siebten Lebensjahr. Arriani A. hatte Tiktok heruntergeladen, um sich ebenfalls Tanz- und Gesangsvideos anzusehen und zu posten. Sie habe gerne bei verschiedenen Challenges mitgemacht, heisst es. Ihren Eltern zufolge hätten diese mit Trinken und Essen zu tun gehabt, weswegen die Erwachsenen die Sache für harmlos hielten.
Im Januar 2021 erzählte Arriani A. ihrer Mutter von Antonella (†10) aus Palermo. Die Italienerin hatte sich zu Hause mit einem Gürtel bewusstlos gewürgt. Die Mutter der US-Amerikanerin sagte ihrer Tochter, sie solle niemals bei einer solchen Challenge mitmachen, was die Neunjährige bestätigte, erzählt Anwalt Matthew Bergman. Doch Ende Februar wurde das Mädchen mit einer Hundeleine um den Hals im Keller des Hauses gefunden. Sie wurde zwar sofort ins Spital gebracht und an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Doch weil sie bereits hirntot war, mussten die lebenserhaltenden Geräte abgestellt werden.
Auch in der Schweiz bereitete die Challenge zahlreichen Eltern bereits Sorgen. Im Oktober 2021 warnte gar die Schule Wolfenschiessen NW Eltern vor dem lebensgefährlichen Erstickungsspiel. Nachdem mehrere Todesfälle im Ausland bekannt wurden, schrieb der Schulleiter Rolf Bucher im Elternbrief, dass die Challenge strengstens verboten sei und nicht von der Schule toleriert werde. Auch in Nidwalden hätten einige Jugendliche das Spiel ausprobiert. Einigen sei es danach übel geworden – was eine vergleichsweise milde Folge des Erstickungsspiels ist.
Samuel Zingg, Vizepräsident des Schweizer Lehrerverbands LCH, befürwortete die Warnung. «Oftmals ist den Kindern und Jugendlichen gar nicht bewusst, wie gefährlich die Teilnahme wirklich ist», sagte er. (man)
* Namen der Redaktion bekannt