Wien im Ausnahmezustand, ganze Stadtteile bleiben abgeriegelt. Die Terrornacht beginnt am Montagabend gegen 20 Uhr mit mehreren Schüssen in der Seitenstettengasse in der Wiener Innenstadt. Bei der Polizei gehen gleich erste Notrufe ein.
Nach ersten Berichten sorgen mehrere mit Gewehren und viel Munition ausgerüstete Terroristen für Angst und Chaos. Es kommt zu Schusswechseln – mitten in Österreichs Hauptstadt. Rund vier Stunden später kann der österreichische Kanzler Sebastian Kurz (34) weiterhin keine Entwarnung geben. Können Menschen am Dienstag zur Arbeit gehen? «Ob es möglich ist, morgen in der Früh ganz normal das öffentliche Leben aufzunehmen, das wird stark von der heutigen Nacht abhängen und ob es gelingt, die Verdächtigen zu fassen beziehungsweise auszuschalten», sagt Kurz im ORF
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Sofort ausgerückte Einsatzkräfte hätten zunächst einen «schwer bewaffneten» Attentäter «ausschalten» können, wie der österreichische Innenminister Karl Nehammer (48) bestätigte. «Wir sind nach wie vor im Kampf gegen die mutmasslichen Terroristen», so der Minister. Nach Mitternacht erklärte er vor Medien, es gebe am Dienstag keine Schulpflicht, Eltern könnten ihre Kinder zu Hause behalten und Menschen sollen wenn möglich die Innenstadt meiden. Mindestens ein Terrorist befinde sich weiterhin auf der Flucht. Die Lage in der Stadt bleibe weiterhin gefährlich. Menschen werden dazu aufgefordert, ihre Häuser nicht zu verlassen, während rund 250 Polizisten von Eliteeinheiten mitsamt Soldaten die Flüchtigen jagen.
Derweil reissen Gerüchte und Spekulationen nicht ab. Die Behörden warnen, dass Sympathisanten der Täter bewusst Falschmeldungen streuen. Die Behörden bitten, sämtliches Videomaterial auf eine Webseite der Behörden hochzuladen, um die Fahnder zu unterstützen. Derweil bestätigen die Verantwortlichen sechs Tatorte und drei Tote: ein erschossener Attentäter, ein getöteter Passant und eine getötete Passantin, die in der Nacht im Krankenhaus verstarb. Mindestens sieben der 15 hospitalisierten Personen erlitten schwere Verletzungen und seien teils schon notoperiert worden. Bei den Verletzungen handelt es sich um Schuss- und Stichverletzungen.
Lauer Novemberabend wird zur Terrornacht
Es begann als lauer Novemberabend, dem letzten Abend vor dem Corona-Lockdown. Hunderte Menschen flanieren durch das Ausgehviertel Bermuda Dreieck in der Wiener Innenstadt, in der Nähe der Synagoge. In dem beliebten Viertel wollen sie nochmal einen Abend draussen mit Freunden geniessen. Plötzlich fallen zahlreiche Schüsse. Panik bricht aus. Auf im Internet kursierenden Aufnahmen ist zu sehen, wie einer der Angreifer allein durch eine Gasse stürmt und wahllos auf einen Passanten schiesst. Der bricht zusammen und bleibt liegen.
Auf anderen Videos ist ein Täter zu sehen, der in der Nähe der Synagoge wahllos in die Lokale und Gastgärten schiesst. Ein anderes Video zeigt eine grosse Blutlache vor einem Restaurant. Ob die Synagoge selbst das Ziel des Anschlags war, bleibt zunächst unklar. In der Synagoge hielt sich zum Zeitpunkt der Anschläge der Wiener Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister auf. «Wir dachten erst an Feuerwerk», sagte er zu Journalisten. Der Angreifer habe «wahllos auf die Menschen geschossen, die er hier vor Ort vorfand. Ob es ein Angriff auf unsere Synagoge oder was seine Motivation war, weiss ich nicht. Ich bin kein Experte.»
Die Polizei hat gleich alle verfügbaren Kräfte zusammengezogen und sucht nach den Tätern im historischen Zentrum der Zwei-Millionen-Stadt. Einige verunsicherte Passanten heben die Hände, damit die Polizisten sehen, dass sie unbewaffnet sind. Es macht das Gerücht die Runde, dass zumindest einer der Täter einen Sprengstoffgürtel trägt. Das steigert die Nervosität. Später bestätigt der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, der eliminierte Täter habe eine Sprengstoffgürtel-Attrappe getragen und sei mit Sturmgewehr, Machete und Pistole bewaffnet gewesen.
Kanzler Kurz: Täter waren Profis
Über der Innenstadt kreisen noch lange Helikopter, es herrscht die ganze Nacht über Ausnahmezustand. Auch die Armee steht mit Soldaten im Einsatz. Das österreichische Bundesheer habe den gesamten Objektschutz in der Hauptstadt übernommen, verlautet aus dem Kanzleramt, wo Bundeskanzler Kurz von einem «widerwärtigen Terroranschlag» spricht. Die Täter seien «mit automatischen Waffen sehr professionell vorbereitet» gewesen.
Bei den Tatorten mussten einige Gäste noch stundenlang in den Restaurants ausharren. Vier Stunden sassen sie im Dunkeln fest. Sie waren eingeschlossen und konnten erst nach Mitternacht in Gruppen nach Hause gehen. Einige weinen und sind traumatisiert. (kes)