Der britische Premier Boris Johnson hält sogar eine Einigung schon im Juli für möglich. Trotzdem wird die deutsche Wirtschaft nervös. Denn die Zeit ist knapp, und ohne Einigung drohen ab 2021 Zölle und Handelshemmnisse.
Enttäuschende Bilanz bisheriger Brexit-Verhandlungen
Bei dem Spitzentreffen zog Johnson mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, Ratschef Charles Michel und Parlamentspräsident David Sassoli Zwischenbilanz der Verhandlungen viereinhalb Monate nach dem Brexit. Die fällt enttäuschend aus: Beide Seiten sehen seit März kaum Fortschritte. Trotzdem sagte Johnson, die Aussicht auf ein Abkommen sei «sehr gut». Man brauche nur ein bisschen mehr «Umpf» - «neuen Schwung», wie es auch in einer gemeinsamen Erklärung der EU und Grossbritanniens hiess. Die Verhandlungen sollen im Juli intensiviert werden.
Beide Seiten beharren auf Forderungen
Inhaltlich war allerdings keine Bewegung zu erkennen. Ratschef Michel twitterte, man sei «bereit, einen Tiger in den Tank zu packen». Allerdings werde die EU keine Katze im Sack kaufen. Michel beharrte auf der zentralen EU-Forderung: gleiche Wettbewerbsbedingungen im künftigen Handel. Johnson wiederholte seinerseits in der BBC seine roten Linien, darunter die Ansage, dass sich sein Land nicht mehr nach EU-Regeln richten werde. Britische Medien hatten berichtet, Johnson sei zu einem «No Deal» bereit, wenn es weiter keine Fortschritte gebe. Davon sagte er öffentlich aber nichts.
Was passiert, wenn es keinen Deal gibt?
Grossbritannien war Ende Januar aus der EU ausgetreten. In einer Übergangsfrist bis zum Jahresende gehört das Land aber noch zum EU-Binnenmarkt und zur Zollunion, so dass sich im Alltag fast noch nichts geändert hat. Gelingt kein Vertrag über die künftigen Beziehungen, könnte es Anfang 2021 zum harten wirtschaftlichen Bruch mit Zöllen und anderen Handelshemmnissen kommen. Denn eine Verlängerung der Verhandlungsfrist hat Grossbritannien abgeblockt.
Was sind die grossen Streitpunkte?
Die Hürden vor einer Einigung sind hoch. Brüssel bietet London ein umfassendes Handelsabkommen mit Zugang zum EU-Markt ohne Zölle und Mengenbegrenzung, fordert aber dafür gleich hohe Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards. Grossbritannien will jedoch keine Vorgaben der EU akzeptieren. Weitere wichtige Streitpunkte sind der Zugang von EU-Fischern zu den reichen britischen Fischgründen, die Rolle des Europäischen Gerichtshofs bei Streitigkeiten der Vertragspartner und der Datenaustausch bei polizeilichen Ermittlungen.
Aus Sicht Grossbritanniens könnte die langfristige Bindung an EU-Standards ein weitreichendes Handelsabkommen mit den USA verhindern. Das Versprechen von der Rückkehr zur globalen Handelsnation war zentral für die Brexit-Kampagne. Allerdings sind sich Experten einig, dass durch ein Abkommen mit Washington der Verlust des EU-Marktzugangs bei Weitem nicht wettgemacht würde.
Ähnlich sieht es bei der Fischerei aus. Sie ist für gerade einmal 0,1 Prozent der Bruttowertschöpfung in Grossbritannien verantwortlich, hat aber hohe symbolische Bedeutung für die einstige Weltmacht zur See. Zudem steht Johnson im Mai 2021 die erste grosse Prüfung seit seinem Wahlsieg bevor: Die Parlamentswahl in Schottland. Es sind vor allem die Fischer im Nordosten Schottlands, die sich von der Loslösung der gemeinsamen Fischereipolitik zusätzliche Einnahmen versprechen.
Druck für Abkommen steigt
Das Ergebnis des Spitzentreffens wurde auf der EU-Seite sehr unterschiedlich bewertet. «Für die deutsche Wirtschaft ist es kein gutes Signal, dass der wichtige politische Impuls zur Auflösung der Verhandlungsblockade beim Spitzentreffen heute nicht gelungen ist», erklärte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Martin Wansleben. «Damit wächst der Druck auf die Wirtschaft.»
Die Grünen-Europaexpertin Franziska Brantner forderte, nun müsse man sich auf einen harten Bruch vorbereiten: «Die EU darf sich von Johnsons PR-Show heute mit von der Leyen nicht blenden lassen.»
Der Brexit-Beauftragte des Europaparlaments, David McAllister, betonte hingegen, beide Seiten hätten den festen Willen erklärt, eine gute zukünftige Partnerschaft bis zum Jahresende anzustreben. «Von dem heutigen Treffen geht ein neuer Impuls für die kommenden Gespräche aus.» (SDA)
In den vergangenen Jahrzehnten ist die Europäische Union stetig gewachsen. Nun verlässt erstmals ein Land die EU: Grossbritannien kehrt den 27 übrigen Mitgliedstaaten am Freitag nach 47 Jahren den Rücken. Die wichtigsten Etappen in der Geschichte der EU:
- 1957: Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg unterzeichnen die Verträge über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom); als Sammelbegriff bürgert sich Europäische Gemeinschaft (EG) ein.
- 1973: Grossbritannien, Irland und Dänemark treten der EG bei.
- 1979: Erste Direktwahlen zum Europäischen Parlament.
- 1981: Griechenland wird zehntes Mitglied der EG.
- 1986: Spanien und Portugal treten der EG bei.
- 1993: Der Vertrag von Maastricht tritt in Kraft. Aus der Europäischen Gemeinschaft wird die Europäische Union (EU).
- 1995: Mit dem Beitritt Österreichs, Schwedens und Finnlands steigt die Zahl der EU-Staaten auf 15.
- 2004: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern treten der EU bei, die nunmehr 25 Mitgliedstaaten zählt.
- 2007: Bulgarien und Rumänien schliessen sich der EU an, die damit auf 27 Mitgliedstaaten anwächst.
- 2013: Kroatien tritt als bislang letztes Land der EU bei.
- 2020: Gut dreieinhalb Jahre nach dem Referendum über den EU-Austritt verlässt Grossbritannien als erster Mitgliedstaat die Europäische Union; die britische EU-Mitgliedschaft endet am 31. Januar um Mitternacht deutscher Zeit. (SDA)
In den vergangenen Jahrzehnten ist die Europäische Union stetig gewachsen. Nun verlässt erstmals ein Land die EU: Grossbritannien kehrt den 27 übrigen Mitgliedstaaten am Freitag nach 47 Jahren den Rücken. Die wichtigsten Etappen in der Geschichte der EU:
- 1957: Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg unterzeichnen die Verträge über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom); als Sammelbegriff bürgert sich Europäische Gemeinschaft (EG) ein.
- 1973: Grossbritannien, Irland und Dänemark treten der EG bei.
- 1979: Erste Direktwahlen zum Europäischen Parlament.
- 1981: Griechenland wird zehntes Mitglied der EG.
- 1986: Spanien und Portugal treten der EG bei.
- 1993: Der Vertrag von Maastricht tritt in Kraft. Aus der Europäischen Gemeinschaft wird die Europäische Union (EU).
- 1995: Mit dem Beitritt Österreichs, Schwedens und Finnlands steigt die Zahl der EU-Staaten auf 15.
- 2004: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern treten der EU bei, die nunmehr 25 Mitgliedstaaten zählt.
- 2007: Bulgarien und Rumänien schliessen sich der EU an, die damit auf 27 Mitgliedstaaten anwächst.
- 2013: Kroatien tritt als bislang letztes Land der EU bei.
- 2020: Gut dreieinhalb Jahre nach dem Referendum über den EU-Austritt verlässt Grossbritannien als erster Mitgliedstaat die Europäische Union; die britische EU-Mitgliedschaft endet am 31. Januar um Mitternacht deutscher Zeit. (SDA)