Einführung verzögert und bezweifelt
Impfpflicht-Probleme in Deutschland und Österreich

Schnellstmöglich wollten die Schweizer Nachbarn Österreich und Deutschland die Corona-Impfung verpflichtend einführen. Doch daraus wird nichts. Sind die umstrittenen Pläne noch zu retten?
Publiziert: 10.01.2022 um 17:43 Uhr
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Aktualisiert: 11.01.2022 um 06:11 Uhr
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Bundeskanzler Olaf Scholz hoffte auf die allgemeine Impfpflicht bis Anfang März – doch der Zeitplan scheint zu eng.
Foto: AFP
Fabienne Kinzelmann

Es ist das umstrittenste Gesetzesvorhaben der vergangenen Jahre: die Corona-Impflicht. Während die Schweiz davon bisher nichts wissen will, machten die Nachbar-Regierungen vorwärts.

In Deutschland sollte die allgemeine Impfpflicht laut Bundeskanzler Olaf Scholz (63, SPD) grob «ab Anfang März» gelten.

Österreich verkündete, dass die Impfpflicht ab Februar gelte – und machte bereits klare Ansagen für die geplante Knallhart-Massnahme: Ab dem 15. März gibts alle drei Monate einen Impf-Stichtag, an dem in einem zentralen Register abgeglichen wird, wer noch nicht vollständig geimpft beziehungsweise genesen ist. Ungeimpften ab 14 Jahren und ohne medizinischen Ausnahmegrund droht dann eine Geldstrafe von bis zu 3600 Euro. So zumindest der Plan auf dem Papier.

Doch in beiden Ländern steht die Impfpflicht nun auf der Kippe. Grund: die technische Umsetzung, die Rechtslage – und die durch Omikron neubelebte Frage nach der Notwendigkeit.

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Die Schweizer Nachbarn schaffen es frühestens im April

In Österreich wurde am Freitag bekannt: Die staatliche Elga GmbH, zuständig für die technische Umsetzung des e-Impfpasses, und deren Partner benötigten für die technische Umsetzung der Impfpflicht über das nationale Impfregister noch Zeit – mindestens bis 1. April 2022. Man sei bei Erstellung des Begutachtungswurfes nicht konsultiert worden, so die Elga in einer Stellungnahme.

In Deutschland sieht es nicht besser aus. Dort rudern offenbar Politiker der Regierungsparteien SPD und Grüne zurück. Das von Bundeskanzler Olaf Scholz gegebene Impfpflicht-Versprechen bis Anfang März sei offenbar nicht mehr zu halten, berichtet der «Tagesspiegel» unter Berufung auf Koalitionskreise. Der Zeitplan des Bundestages und des Bundesrats sowie komplizierte juristische Fragen torpedierten eine schnelle Einführung.

Erst am 26. oder 27. Januar soll es eine «umfassende Orientierungsdebatte» im Bundestag geben. Weil die Parlamentarier jedoch im Februar wegen Karneval nur eine Sitzungswoche haben, könnte frühestens in der Woche ab dem 14. März eine Entscheidung fallen. Und weil dann der Bundesrat, in dem Mitglieder der Regierungen der 16 Bundesländer vertreten sind, erst wieder am 8. April tagt, kann auch die Impfpflicht erst dann beschlossen werden.

Heisst im Klartext: Vor Anfang Mai klappt es – zumindest ohne Sondersitzungen – nicht mit der Impfpflicht.

Österreich und Deutschland stehen zu Corona-Impfpflicht

Die Probleme sind da. Und trotzdem halten die Regierungen in Deutschland und Österreich aktuell an der Impfpflicht fest. In Deutschland macht Bundesjustizminister Marco Buschmann (44, FPD) Tempo. «Der Bundestag sollte schnell entscheiden, ob eine Impfpflicht eingeführt wird. Und wenn ja, für wen», sagte Buschmann, dessen eigene Partei von den drei Ampel-Parteien (SPD, Grüne, FDP) am meisten mit dem Gesetzesvorhaben hadert, zur «Bild am Sonntag». Stimmen die Abgeordneten zu, will er die Impfpflicht «zügig umsetzen».

Optimismus auch in Österreich. Der Bundeskanzler Karl Nehammer (49, ÖVP) ist sich der Sache bereits sicher. «Die Impfpflicht kommt», sagte Nehammer am Samstag in einem Interview.

Immerhin: Das Parlament hat er klar hinter sich. Neben der Regierung ist auch die sozialdemokratische SPÖ als grösste Oppositionspartei dafür, die liberalen Neos wollen für die Abstimmung im Nationalrat den Fraktionszwang aufheben.

Doch selbst wenn die Schweizer Nachbarn die Impfpflicht bis zum Frühjahr durchbekommen, drohen ihnen zwei Probleme.

1.) Die Impfpflicht könnte zum Blindgänger werden

Der Grund: Omikron. Da die Variante auch für Geimpfte ansteckender sei und sie das Virus ebenfalls verbreiten könnten, sei der Sinn der Massnahme zunehmend fraglich, sagte der Verfassungsjurist Heinz Mayer am Donnerstag der «dpa»: «Wenn die Impfung das Gesundheitssystem nicht ausreichend schützt, denn ist die Impfpflicht nicht zulässig.»

Bis zum Frühjahr dürfte die Omikron-Welle zudem abgeebbt sein, möglicherweise ist die durch das Coronavirus ausgelöste Erkrankung Covid-19 dann sogar schon endemisch und stellt keine übermässige Belastung für das Gesundheitssystem mehr dar.

So genau kann das zum jetzigen Zeitpunkt zwar noch niemand wissen, doch Experten äussern erhebliche Zweifel, dass die Notwendigkeit für eine allgemeine Impfpflicht im Frühjahr noch besteht und entsprechend mit den Grundrechten vereinbar wäre.

2.) Gerichte könnten die Impfpflicht kippen

In beiden Ländern könnte die Impfpflicht von Verfassungsrichtern einkassiert werden. In Deutschland wurde bereits kurz vor Weihnachten die erste Verfassungsbeschwerde gegen die Corona-Impfpflicht für das Gesundheits- und Pflegepersonal eingereicht.

Die SPD-Bundestagsfraktion will sich in der kommenden Woche mit Mitgliedern des Ethikrates, mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten und mit Juristen beraten. «Für wichtige Detailfragen, wie zum Beispiel die Erforderlichkeit eines Impfregisters, wollen wir eine gründliche Debatte führen», sagte der für das Impfpflicht-Projekt in der SPD-Fraktion zuständige stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese (38) dem «Tagesspiegel».

In Österreich haben Datenschützer das Impfpflicht-Gesetz der Regierung bereits heftig kritisiert. Im Parlament gingen zudem Zehntausende Schreiben ein, darunter viele Serienbriefe von Impfskeptikern.

Gibt es einen Mittelweg?

In Österreich, wo der Gesetzgebungs-Prozess bereits weiter fortgeschritten ist, liegen bereits alternative Vorschläge auf dem Tisch. Die für den e-Impfpass zuständige Elga GmbH schlägt vor, die zeitliche Verzögerung «für ein finanzielles Anreizsystem mittels Gutscheinen für alle Personen mit drei Teilimpfungen» zu nutzen.

Bei aller Probleme rund um die geplante Impfpflicht: Bereits jetzt stehen Österreich wie Deutschland beim Impffortschritt besser da als die Schweiz. Vollständig geimpft sind in Deutschland 71 und in Österreich 72 Prozent der Bevölkerung – in der Schweiz sind es nur 67 Prozent. Bei der gegen die Omikron-Variante entscheidenden Booster-Impfungen liegen Deutschland mit 13 und Österreich mit 14 Prozentpunkten ebenfalls vor der Schweiz.

Den beiden Schweizer Nachbarn bleibt laut Verfassungsrechtlern auch noch eine andere Möglichkeit. Mit Blick auf eine mögliche nächste Welle oder gar eine neue Pandemie könnten sie jetzt die rechtlichen Voraussetzungen für eine Impfpflicht schaffen. Der Gesundheitsminister könnte so ermächtigt werden, eine Impfpflicht zukünftig anordnen zu können – selbst wenn sie jetzt bei Omikron nicht mehr zum Einsatz käme.

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