Darum will die Nato auf keinen Fall eine Flugverbotszone
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Polit-Experte Erich Gysling:Darum will die Nato auf keinen Fall eine Flugverbotszone

Eine Flugverbotszone ist gar nicht so einfach umzusetzen
Warum Selenskis Bitte einen Weltkrieg auslösen könnte

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski fordert seit Tagen, dass die Nato eine Flugverbotszone einrichtet. Die Nato lehnt dies stets ab. Blick erklärt die Gründe und warum die «No-Fly-Zone» mehr schaden als nützen könnte.
Publiziert: 15.03.2022 um 00:13 Uhr
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Aktualisiert: 15.03.2022 um 15:48 Uhr
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Eine Frau vor einem zerstörten Wohnhaus in Kiew. Mit einer Flugverbotszone hofft Wolodimir Selenski, solche Bilder verhindern zu können.
Foto: keystone-sda.ch
Fabian Vogt

Mit hoher Frequenz fliegen russische Kampfjets über die Ukraine, werfen ihre Raketen ab, töten Soldaten und Zivilisten, zerstören Lebensraum. Wolodimir Selenski (44) fordert darum praktisch täglich, eine Flugverbotszone einzurichten.

Am Sonntag versuchte der ukrainische Präsident, seine westlichen Verbündeten in seiner täglichen Videoansprache zu überzeugen, indem er ihre eigene Sicherheit infrage stellte. «Wenn Sie unseren Himmel nicht abriegeln, ist es nur eine Frage der Zeit, bis russische Raketen auf Ihr Territorium, auf das Territorium der Nato und auf die Häuser von Nato-Bürgern fallen werden», so Selenski.

Doch bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Nato der Forderung nachgeben wird. Blick erklärt die Gründe und beantwortet die wichtigsten weiteren Fragen zur sogenannten «No-Fly-Zone».

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Was ist überhaupt eine Flugverbotszone?

Sie dient hauptsächlich dazu, eine Konfliktpartei im Krieg zu schützen. In einer «No-Fly-Zone» sind sämtliche Luftfahrzeuge verboten, beispielsweise Flugzeuge, Hubschrauber, Drohnen und Raketen. Ausnahmen können für humanitäre Zwecke gelten. Im Ukraine-Krieg würde dies bedeuten, dass die russischen Flug-Streitkräfte nicht mehr ukrainischen Luftraum nutzen dürften.

Weil die Ukraine militärisch zu schwach ist, um dies durchzusetzen, müsste die Nato helfen. Sie würde Teile ihrer Kampfjets und Flugabwehrkräfte in der Ukraine stationieren und eingreifen, wenn das Verbot missachtet würde.

In der Praxis sieht das oft so aus: Wenn ein Luftfahrzeug in eine Flugverbotszone eindringt, wird zuerst per Funk Kontakt zum Piloten aufgenommen und dieser zur Umkehr aufgefordert. Ignoriert dieser die Warnung, kann das Flugzeug abgeschossen werden.

Warum weigert sich die Nato, eine Flugverbotszone in der Ukraine einzurichten?

Weil sie Angst vor einem dritten Weltkrieg hat. Um eine Flugverbotszone einrichten zu können, müsste zuerst die Lufthoheit errungen werden, sagt ETH-Sicherheitsexperte Niklas Masuhr zu Blick. Sprich: Die Nato müsste die russischen Militärflugzeuge in der Ukraine besiegen – und die russische Flugabwehr zerstören.

Masuhr: «Im Endeffekt sprechen wir hier von mindestens einem konventionellen Krieg zwischen der Nato und Russland. Da Russland vor und während der Invasion in der Ukraine bereits dem Westen mit Nuklearwaffen gedroht hat, wären wir wohl schnell an einem Punkt, an dem eine nukleare Eskalation eine reelle Gefahr wäre.»

Von einem Atomschlag abgesehen: Könnte sich Russland überhaupt gegen die Einnahme des Luftraums durch die Nato verteidigen?

Das ist unklar. Mittel dazu sind in jedem Fall vorhanden. «Moskau hat moderne Luftabwehrsysteme (bestehend aus Radaranlagen und Raketenbatterien) in Kaliningrad und Belarus stationiert, die mindestens an den Rändern von hypothetischen Nato-Luftoperationen stehen respektive in ukrainischen Luftraum hineinragen», erklärt Masuhr weiter. An der südlichen Flanke des Kriegsgebiets treffe das Gleiche auf die Schwarzmeerflotte zu. Der ETH-Experte sagt, dass Russland beispielsweise von Kaliningrad aus Luftwaffenbasen der Nato in Polen, dem Baltikum, Deutschland und darüber hinaus in Beschuss nehmen könnte.

Würde eine Flugverbotszone in der Ukraine viel bringen?

Nein. Nicht für den Experten Masuhr: «Russlands Feuerkraft ist besonders am Boden stark. Die zivile Bevölkerung wäre nur bedingt geschützt. Selbst angenommen, dass eine Flugverbotszone tatsächlich perfekt umgesetzt werden könnte, würde die ukrainische Bevölkerung nicht vor ballistischen Raketen, Marschflugkörpern und Artilleriefeuer geschützt sein.»

Wer kann eine Flugverbotszone einrichten?

Aus Sicht des Völkerrechts stellt eine solche Verbotszone einen schwerwiegenden Eingriff in die Souveränität eines Staates dar. Nur der UN-Sicherheitsrat kann sie darum erlassen.

Allerdings: Russland hat einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat und damit ein Veto-Recht, falls es zu einer solchen Abstimmung kommt. Völkerrechtlich sind Flugverbotszonen umstritten. Viele Juristen beklagen generell die schwache Rechtslage für die Einrichtung solcher Schutzzonen.

Würde die Nato diese Massnahme ergreifen, käme die Nato Response Force (NRF) zum Zug. Sie besteht aus Land-, Luft-, See- und Spezialeinsatzkräften und ist laut Militär-Experten sehr schnell einsatzbereit. Schon vor Kriegsausbruch hatte die Nato einige NRF-Truppen näher an das Krisengebiet verlegt, um bei Bedarf eingreifen zu können.

Gab es in der Vergangenheit schon Flugverbotszonen?

Ja. Dieses Mittel wurde bisher dreimal angewandt. 1991 beschützten im Irak britische und US-Flugzeuge Kurden und Schiiten vor dem damaligen irakischen Präsidenten Saddam Hussein (1937–2006). Im Oktober 1992 beschloss der UN-Sicherheitsrat ein Verbot militärischer Flüge über Bosnien-Herzegowina. Das serbische Militär ignorierte das Verbot mehrfach, bis Anfang 1994 gleich vier ihrer Jets bei einem Angriff in Bosnien von Nato-Kampfflugzeugen abgeschossen wurden. In der Folge flogen Nato-Flugzeuge mehrfach Angriffe gegen den serbischen Feind. Im März 2011 beschloss der UN-Sicherheitsrat zudem eine Flugverbotszone in Libyen, um den Machthaber Muammar al-Gaddafi (1942–2011) zu stoppen.

Es gibt noch einen weiteren Fall, der bis heute als warnendes und negatives Beispiel einer «No-Fly-Zone» gilt. 1999 verteidigte die Nato den Luftraum im Kosovo-Krieg über der damaligen abtrünnigen jugoslawischen Provinz. Dafür hatte sie aber kein UN-Mandat. Dort zeigte sich auch eines der Probleme mit dieser Massnahme: Serbien nutzte die Nato-Luftangriffe als Vorwand, um in Verbindung mit dem Kampf gegen die UÇK die ethnische Säuberung der Kosovo-Albaner zu verstärken.

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