Andreas Lubitz (†27) hielt seine Qualen, Ängste und Probleme schriftlich fest. Auf dem Computer des Todes-Piloten fanden die Ermittler in einem Ordner namens «Meine Antworten, die das Leben mir stellt» mehrere Dokumente, in denen der depressive Lufthansa-Pilot seine Gefühlswelt offenbart.
IMAGE-ERRORDas Tagebuch entstand auf Anraten eines Therapeuten, schreibt «Bild.de». Es stellt einen Teil der französischen Ermittlungsakten dar, die insgesamt rund 6000 Seiten fassen und der Zeitung vorliegen. Sie zeigen, dass Lubitz schon Jahre vor der Tragödie in den französischen Alpen, die sich in wenigen Tagen jährt, mit schweren Depressionen zu kämpfen hatte.
Hilfeanrufe, Einsamkeit und Leere
Eine schwere depressive Phase begann demnach bereits, als Lubitz im September 2008 für die Ausbildung als Pilot nach Bremen zog. Auf 23 Seiten schildert er die Situation:
«Überstürzt umgezogen von heute auf morgen neues Leben neues Umfeld»
«Wohnung eigentlich sehr schnuckelig und geordnet»
«Leere und Einsamkeit wenn zu Hause => zudem Fixierung auf Geräuschkulisse der Strasse = Schlaflosigkeit.»
«Entscheidender abgeschlossener Reifungsprozess steht bevor = Schritt in die Selbstständigkeit»
«Gegenüberstellung Konflikt LH-Ausbildung vs. familiäres/privates Umfeld.»
«Total überfordert, Hilfeanrufe, schliesslich aus Bremen abgeholt.»
Er dachte an Selbstmord
Zwei Monate später unterbrach Lubitz die «Lufthansa Flight Training»- Pilotenschule aufgrund psychischer Probleme. Im Zeitraum um den 5. November schrieb er in sein Tagebuch:
«Begebe mich in psychiatrische Behandlung, schwere Depression, Berufstraum Pilot so gut wie vorbei»
«Ich fühle mich so traurig, bin so verzweifelt, sehe, wie sich die Welt an mir vorbeidreht»
«Letzter Ausweg, der mich teilweise glücklich macht, ist der Sprung von der Klippe.»
«Bekomme Hausaufgabe: Wie ich mir mein Leben vermasseln kann. Was ich tun kann, um ein erfülltes Leben zu leben.»
Für die Krankenkasse seines Patienten verfasste damals auch Lubitz' Therapeut Kurt A. einen Bericht: «Patient wirkt ängstlich und verunsichert unter sehr starkem Leidensdruck. Äusserungsbereit, aber stets um Einvernehmen bemüht. Starkes Selbstmitleid und beherrscht von inneren Konflikten um die eigene Persönlichkeit. Keine Bewusstseinsstörungen, derzeit keine suizidalen Tendenzen.»
Ein temporärer Hoffnungsschimmer
Er beantragte für Lubitz knapp 50 Einzelbehandlungsstunden – und die Therapie schlug offenbar an. Der Pilot unterzog sich Hypnosen, machte Entspannungsübungen und führte Gespräche, parallel dazu nahm er Antidepressiva und Schlafmittel.
Am 16.Juli 2009 schrieb der Todes-Pilot voller Zuversicht:
«Genauso unverhofft, wie ich in das alles reingeschlittert bin, genauso unverhofft laufen mir die Tränen die Wange runter. Es ist eigentlich alles wieder gut.»
«Ganz besonderer Dank gilt meiner Familie besonders meiner Mutter U., die mich vor dem Schlimmsten bewahrt hat und mitunter eine der Personen war, die am meisten mitgelitten hat.»
«Liebevollen Dank möchte ich auch meiner Freundin aussprechen, die viel Zeit mit mir verbracht und mich durch die dunkelsten Tage meines Lebens begleitet hat und auch die nie Hoffnung in mich nicht aufgegeben hat, DANKE, dass du bei mir geblieben bist.»
Lubitz' Therapeut bescheinigte ihm einen Monat später, dass er seine Ausbildung fortsetzen kann. Am 26. August 2009 besuchte der junge Mann wieder die Pilotenschule – doch das Glück hält nicht lange an. Noch im gleichen Jahr verschlechterte sich sein Zustand wieder drastisch und kurz vor Weihnachten notierte er:
«Ich habe schwerwiegende Probleme mit meiner Ausbildung bzw. haben sich die Lebensumstände drastisch seit September verändert.»
«Dazu kommt, dass ich kaum klare Gedanken fassen kann und ich mich hauptsächlich mit meinen Beschwerden und der Ausweglosigkeit meiner Situation beschäftige.»
«BITTE lass mich endlich wieder gesund und glücklich werden… auch mein Umfeld hat es verdient.»
Trotzdem schloss Lubitz die Pilotenausbildung ab. In seinem Freundes- und Kollegenkreis schien niemand etwas von seinem inneren Kampf zu bemerken. So wurde Lubitz am 26. Juni zum Co-Piloten ernannt.
Nach aussen lebte er die Normalität
Bis 2014 sind keine Besuche bei Psychologen und Medikation dokumentiert, der junge Pilot hatte seinen Traumjob offenbar gefunden und zog mit seiner Freundin in Düsseldorf zusammen. Der 27-Jährige schien nach aussen ein normales Leben zu führen.
Eine Fassade, die spätestens Anfang 2015 zu bröckeln begann. Bei der Hausdurchsuchung fand die Polizei unter anderem einen Überweisungsschein für eine Psychotherapie vom 17. Februar 2015 wegen eines psychosomatischen Beschwerdekomplexes und einen weiteren Überweisungsschein an eine psychiatrische Tagesklinik.
Doch dort tauchte Lubitz nie auf. Am 24. März 2015 steuerte der junge Mann den Germanwings-Flug 4U9525 in den französischen Alpen in einen Felsen. Und setzte damit nicht nur seinem Leben, sondern denen von 149 Menschen ein Ende. (kra)