Ein Ende des Gaza-Krieges? Die Araber hätten es laut Nahostexperte Daniel Gerlach in der Hand
«Statt Forderungen zu stellen, sollen sie Verantwortung übernehmen»

Alle Bemühungen, den Gaza-Krieg zu stoppen, sind bisher gescheitert. Der deutsche Nahost-Experte Daniel Gerlach ist überzeugt, dass nur ein Szenario den Brand löschen kann. Er meint, dass jetzt endlich die arabischen Staaten eingreifen und vermitteln sollten.
Publiziert: 06.01.2024 um 10:43 Uhr
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Aktualisiert: 07.01.2024 um 11:21 Uhr
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Nach dem brutalen Angriff der Hamas leidet nun die Zivilbevölkerung des Gazastreifens unter dem Rachefeldzug Israels.
Foto: keystone-sda.ch
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Guido FelderAusland-Redaktor

Das Töten im Gazastreifen nimmt kein Ende. Bisher sind auf dem Feldzug gegen die Terrororganisation Hamas nach deren Massaker vom 7. Oktober 2023 rund 22’000 Menschen ums Leben gekommen. Das Schicksal der noch 136 Geiseln, welche die Islamisten aus Israel verschleppt haben, ist ungewiss.

Alle Aufrufe an Israel, den Einsatz im Gazastreifen zu beenden, verhallen. In den USA werden daher die Stimmen immer lauter, die Israel den Geldhahn zudrehen wollen. So fordert der linke demokratische Senator Bernie Sanders (82) den US-Kongress auf, weitere zehn Milliarden Dollar für die israelische Regierung zu blockieren. Sanders: «Israels Reaktion war völlig unverhältnismässig, unmoralisch und verstiess gegen das Völkerrecht.»

Bisher scheiterten alle Vermittlungsbemühungen. Der Deutsche Daniel Gerlach (47), Nahost-Experte und Chefredaktor des Magazins «Zenith – Zeitschrift für den Orient», schlägt nun ein Szenario vor, das den Konflikt eindämmen könnte. Seine Idee: Arabische Staaten als Vermittler in die Pflicht nehmen. Doch wie soll das gehen?

Kritik an arabischen Staaten

«Die arabischen Staaten sind die einzigen, die gegenüber der Bevölkerung glaubwürdig auftreten können und die Situation kennen», sagte Gerlach in einem Interview mit Radio SRF. Weder die USA noch die EU kämen für ein Vermittlermandat in Frage, da sie nicht von beiden Seiten akzeptiert würden. «Man darf die Vermittlung auch nicht der Uno überlassen, da der Fall da erfahrungsgemäss zu ‹everybody's business› würde und sich keiner verantwortlich fühlt.»

Gerlach übt Kritik am bisherigen Abseitsstehen der arabischen Staaten, in denen man vor allem «Wut auf allen Ebenen» spüre. «Es wäre ein wichtiger Präzedenzfall, dass arabische Staaten Verantwortung übernehmen und nicht nur Forderungen stellen.»

Gerade ihre Wut beeinflusse die Fähigkeit von Politikern, sich Gedanken zu machen, wie man der Gewalt realistischerweise ein Ende setzen könne. «Man verrennt sich stattdessen in moralischen Grundsatzdebatten, wie viel Gewalt gerechtfertigt ist und wer, womit angefangen hat, oder schliesst einfach ganz die Augen vor den blutigen Realitäten.»

In fünf Schritten zum Frieden

Wie sich Gerlach den ersten Schritt zum Kriegsende vorstellt, beschreiben er und Staatsrechtler Naseef Naeem (49) im Magazin «Zenith».

  1. Israel akzeptiert die Vermittler und erklärt sich bereit zu einer mehrwöchigen Feuerpause, die für politische Verhandlungen genutzt wird.

  2. Jene arabischen Staaten, die bereits durch ihr Engagement im Nahostkonflikt in Erscheinung getreten sind, stellen ad-hoc eine ständige multinationale, arabische Militär- und Polizeimacht zusammen, deren Führung einer vertrauenswürdigen, integren arabischen Persönlichkeit übertragen wird. Zu diesen Staaten zählen Ägypten, Jordanien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Marokko, Saudi-Arabien und auch der Golfkooperationsrat insgesamt.

  3. Zudem wird eine Versammlung von Experten, angesehenen und respektierten Familien aus dem Gazastreifen einberufen, die den Chef einer provisorischen Zivilverwaltung benennt. Im Gegenzug garantiert Israel ein sofortiges Moratorium für den Bau und die Erweiterung von Siedlungen im Westjordanland sowie für alle Enteignungen von palästinensischem Besitz in Jerusalem.

  4. Israel sichert zu, dass der Gazastreifen über Ägypten, das Mittelmeer oder auch die Luft versorgt werden kann und garantiert Strom- und Trinkwasser.

  5. Die am Abkommen beteiligten Mächte – einschliesslich Israel – zahlen in einen Fond ein, der zur humanitären, gesundheitlichen Versorgung und zum Aufbau vitaler Verwaltungsstrukturen verwendet wird.

Was passiert nachher?

Auch mit diesem Plan bleiben viele wichtige Fragen offen. Was passiert mit den Geiseln? Wie geht es nachher weiter? Das Thema Geiseln würden die Autoren den beteiligten Mächten überlassen, die den Stand der Verhandlungen am besten kennen.

Für eine Planung der weiteren Zukunft sei es noch zu früh, meint Gerlach. Vordringlich sei eine sofortige Stabilisierung der Lage. Gerlach: «Für den ersten Schritt sollte man zum jetzigen Zeitpunkt weder über die zu weit entfernte Zukunft, noch über die Vergangenheit diskutieren.»

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