September 2019, eine Hochzeit in New York. Ein 30 Jahre älterer Mann, der ihr an den nackten unteren Rücken fasst. Sie wehrt ihn ab, er macht weiter. Mit seinen Händen nimmt er ihr Gesicht. Und fragt sie: «Kann ich dich küssen?»
An diesen Moment erinnert sich Anna Ruch, eine ehemalige Mitarbeiterin von Barack Obama (59) und Joe Biden (78), genau. Vor allem an das Gefühl: Unwohlsein. «Ich fühlte mich so unwohl und habe mich geschämt, dabei ist er derjenige, der sich hätte schämen sollen», sagt sie. Ein Freund hielt die unangenehme Szene auf Handybildern fest. Ihr Widerwille ist ihr ins Gesicht geschrieben.
Der Mann, der Anna Ruch so in Verlegenheit gebracht hat, ist nicht irgendwer – sondern New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo (63). Und Ruch ist bereits die dritte Frau, die dem ehemaligen «Corona-Helden» und Trump-Gegenspieler sexuelle Belästigung vorwirft.
Ruch textete einer Freundin: «Ich bin so sauer»
«Ich hatte keine Wahl in dieser Angelegenheit. Ich hatte keine Wahl in seiner physischen Dominanz über mich in diesem Moment. Und das ist es, was mich wütend macht. Und selbst das, was ich tun konnte – nämlich seine Hand von meinem unteren Rücken zu entfernen – war das nicht deutlich genug?», sagt Ruch der «New York Times».
Nach dem Schockmoment wollte sie ihn sogar noch konfrontieren – konnte Cuomo aber nicht mehr finden. Am nächsten Tag textete sie einer Freundin über «diesen Kerl»: «Ich bin so sauer.»
Im Gegensatz zu den beiden anderen Frauen, Lindsey Boylan (36) und Charlotte Bennett (25) ist Ruch keine ehemalige Mitarbeiterin von Cuomo. Lindsey Boylan, die sich aktuell als Bezirksverwalterin für den New Yorker Stadtteil Manhattan bewirbt, hatte vergangene Woche auf der Plattform «Medium» von unangenehmen Erlebnissen mit Cuomo berichtet – darunter eine Einladung zum Strip-Poker.
63-jähriger Cuomo fragte 25-Jährige nach Sex mit älteren Männern
Bennett, die als Beraterin im Bereich Gesundheit für Cuomo arbeitete und vier Jahrzehnte jünger ist, erzählt über eine Begegnung im Frühjahr, bei der ihr demokratische Politiker zahlreiche persönliche Fragen gestellt habe: Ob sie mit älteren Männern geschlafen habe, ob sie monogam lebe, ob sie das Alter in einer Beziehung für wichtig halte. Sie habe sich eingeschüchtert gefühlt, sei verärgert gewesen und habe sich «gefragt, wie ich da rauskommen soll», erzählte sie am Samstag in einem Interview.
Während Cuomo die Vorwürfe von Boylan abstritt, äusserte er sich bei Bennett einsichtig. Er scherze mit seinen Mitarbeitern und sei wohl missverstanden worden. «Ich verstehe jetzt, dass meine Handlungen möglicherweise unsensibel oder zu persönlich waren und dass einige meiner Kommentare angesichts meiner Position Gefühle auslösten, die ich nie beabsichtigt habe», hiess es in einer am Sonntag veröffentlichten Erklärung.
Erste Demokratin fordert Rücktritt
Bennett akzeptierte die Erklärungen nicht: «Dies sind nicht die Handlungen von jemandem, der sich einfach missverstanden fühlt. Es sind die Handlungen eines Individuums, das seine Macht ausübt, um Konsequenzen zu vermeiden.»
Auch zahlreiche prominente Parteifreunde kaufen Cuomo die Reue nicht ab. Darunter der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio (59): «Er schien zu sagen: ‹Aw, ich habe nur Spass gemacht›, aber sexuelle Belästigung ist nicht lustig. Es ist ernst und muss ernst genommen werden.» Als erste Demokratin forderte Kathleen Rice (56), Abgeordnete im US-Repräsentantenhaus, Cuomos Rücktritt. (kin)