Ein Video zeigt, wie ein Mann einen Becher Wasser aus dem blutroten Fluss Ambarnaja schöpft. Der Mann taucht ein Stück Papier in den Becher und hält ein Feuerzeug daran. Das nasse Papier fängt auf der Stelle Feuer.
Sibiriens Gewässer sind verseucht: rund 15'000 Tonnen Diesel gerieten in die Flüsse, darunter die Ambarnaja und ihre Nebenflüsse. Das Unglück geschieht Ende Mai in der Industriestadt Norilsk: Ein Treibstofflager eines Heizkraftwerks stürzt ein. Das Kraftwerk wird von der Firma NTEK betrieben, ein Tochterunternehmen des riesigen Bergwerkunternehmens Nornickel. Es dauert Tage, bis die Öffentlichkeit von der Katastrophe erfährt.
Die grösste Ölkatastrophe in der Geschichte Russlands
Hunderte Einsatzkräfte tragen tonnenweise verseuchten Boden ab und filtern das Öl von der Wasseroberfläche. Es wird aber mindestens zehn Jahre dauern, bis sich das Ökosystem wieder erholt, sagt die Vizeministerin für Naturressourcen und Umwelt, Jelena Panowa. Für Russlands indigene Völker sind die fischreichen Gewässer lebenswichtige Ernährungsgrundlage.
Kremlchef Wladimir Putin zeigt sich erzürnt, als er das Ausmass mitbekam. Es könne nicht sein, dass über die sozialen Netzwerke zuerst Bilder und Informationen ins Internet kämen, aber die Behörden nicht Alarm schlügen. Norilsk hat 175 000 Einwohner – und durch den Nickelabbau schon jetzt genügend Umweltprobleme. Bei einer im Fernsehen übertragenen Videoschalte verhängt Putin den Ausnahmezustand. Und er befiehlt dem reichsten Mann Russlands, Wladimir Potanin, sich zu kümmern.
127 Millionen Euro Schaden
Wladimir Potanin ist Chef von Nornickel, zu dem das havarierte Tanklager gehört. Er beziffert den Schaden auf rund 127 Millionen Euro. «Egal, was es kostet, wir zahlen das», sichert Potanin im Gespräch mit Putin zu. Experten gehen von einem deutlich höheren Schaden aus.
Offenbar ist das Klima für das Unglück verantwortlich. Der Dieselöl-Tank sei eingestürzt, weil der Permafrostboden durch den Klimawandel taut und damit seine Festigkeit als Baugrund verliert. «Solche Dinge sind schwer vorherzusagen», behauptet der Unternehmer Potanin. Dabei ist das Problem gar nicht neu. Wissenschaftler und Klimaschützer verweisen seit langem auf die Gefahren tauender Dauerfrostböden.
Verfahren gegen Aufsichtsbehörde
«Deshalb muss das Monitoring auch dauernd erfolgen», sagt der angesehene Wissenschaftler Boris Morgunow russischen Medien zufolge. Die Frage sei aber, ob das passiert. Das Treibstofflager wurde bei Kontrollen immer wieder durchgewunken – trotz des problematischen Standorts. Wie kann das sein? Das klärt nun die oberste Ermittlungsbehörde in einem Verfahren gegen die zuständige Mitarbeiterin der technischen Aufsichtsbehörde. Sie soll die Kontrollen vernachlässigt haben.
Es ist nicht das einzige Ermittlungsverfahren in diesem Fall. Der Leiter des Heizkraftwerks sitzt bereits in Untersuchungshaft. Immer wieder kommt es in Russland zu folgenreichen Katastrophen wegen missachteter Sicherheitsvorkehrungen, Schlamperei oder Korruption. Auch dieser Fall zeigt, wie Politik und Geschäftsinteressen verwoben sind.
Korruptionsverdacht gegen Naturschutzbehörde
Der prominente Anti-Korruptions-Kämpfer Alexej Nawalny kritisiert, dass die Leiterin der obersten Naturschutzbehörde, Swetlana Radionowa, sich in einem Flugzeug Potanins in die Region fliegen liess. Er fragt entsetzt, wie die Behördenchefin die Umweltverschmutzung unabhängig aufklären könne, wenn sie sich einladen lasse. Ausgerechnet von jenem Mann, der die Hauptverantwortung trägt.
Greenpeace sieht indes grundsätzlichen Handlungsbedarf. Die Organisation fordert die Kontrollbehörden auf, in der Arktisregion alle industriellen Projekte zu überprüfen. Mit Blick auf die Ölkatastrophe warnen sie zudem vor Russlands Zukunftsplänen, in der Arktis in grossem Stil Bodenschätze abzubauen. Sie sehen ein einzigartiges Biotop des Planeten dadurch in Gefahr. (SDA)