Der CDU-Chef Friedrich Merz (66) kann seinen Unmut über die aktuelle Lage in Deutschland, der Ukraine und Wladimir Putin nicht verbergen. In einem Gastbeitrag für «die Zeit» lässt er seinen Frust raus.
«Wir müssen uns zunächst eingestehen, dass wir uns geirrt haben», schreibt er. «Spätestens seit dem Einmarsch in die Ostukraine und der Annexion der Krim vor acht Jahren hätte uns allen, parteiübergreifend, klar sein müssen, was in diesem Land geschieht.»
Am russischen Präsidenten lässt er kein gutes Haar. «Er hat uns über Jahre in die Irre und an der Nase herumgeführt, begleitet von einem Netzwerk deutscher Unternehmer und Politiker, die ihren Verstand dem Geldverdienen untergeordnet haben.»
«Dysfunktionale Armee»
Seiner Meinung nach habe Deutschland zahlreiche «Fehleinschätzungen» begangen. «Der am schwersten wiegende aller Fehler war die Ablehnung des Gesuchs der Ukraine, sie in die Nato aufzunehmen.»
Aber auch die Verteidigungs- und Rüstungspolitik der Bundeswehr kritisiert er. Die Militärkosten seien über die Jahre stetig gesenkt worden, sagt er. Deswegen habe man jetzt «eine in grossen Teilen dysfunktionale Armee».
«Brauchen jetzt Mut in der Politik»
Auch Angela Merkels Energiepolitik lässt Merz nicht unkommentiert. «Der Ausstieg aus der Kernenergie folgte einem Ereignis, das in keinem Zusammenhang mit der Sicherheit unserer Kraftwerke stand. Dafür wurde eine immer grössere Abhängigkeit von russischem Gas für die Stromerzeugung in Kauf genommen.»
Die Ex-Kanzlerin sagte über die Pipeline Nord Stream 2 einst, es sei ein «rein wirtschaftliches Projekt». In seinem Text kritisiert Merz nun diese Wortwahl, ohne Merkel direkt beim Namen zu nennen. «Nord Stream 2 war niemals ein ‹rein privatwirtschaftliches› Projekt, im Gegenteil, diese Pipeline war das letzte politische Puzzleteil in einem Spiel, das Europa spalten und die Abhängigkeit für uns noch einmal vergrössern sollte.»
Die Energieabhängigkeit von Russland ist Merz ein Dorn im Auge. Der Weg daraus werde beschwerlich, sagt er. «Der Energiebedarf unseres Landes und die gleichzeitig notwendige Dekarbonisierung unserer Volkswirtschaft werden zur grössten innenpolitischen Herausforderung nach diesem Krieg.» Was es jetzt dringend brauche, glaubt Merz, sei «Mut in der Politik» sowie «Mut, unbequeme Wahrheiten auszusprechen».
Das Verhältnis von Merz und Merkel gilt bereits lange als zerrüttet. 2002 wurde er von der damaligen CDU-Chefin Merkel vom Fraktionsvorsitz im Bundestag verdrängt. Später wurde er einer der lautesten Kritiker von Merkels Regierungspolitik. (ced)