Es war eine desaströse Woche für Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (66). In deren letzten Stunden wirkt sie jedoch, als habe sie sich wieder gefangen. Am Sonntagabend führt Merkel in der ARD-Talkshow «Anne Will» Attacken gegen Länderchefs. Die deutsche Kanzlerin wirkt resolut, kampflustig - und am Ende ihrer Geduld.
Merkel setzt auf öffentlichen Druck, wo Diskussionen hinter verschlossenen Türen nicht mehr ausreichen. Sie zeigt sich unzufrieden darüber, wie einzelne Bundesländer die Coronavirus-Massnahmen umsetzen: «Einige sind sich der Ernsthaftigkeit nicht bewusst», so die Kanzlerin – und stellt klar: Sie will den Corona-Kurs noch verschärfen.
Während auch in Deutschland auf Lockerungen und Öffnung gedrängt wird, mahnt Merkel weiter zu Vorsicht: «Wir müssen die dritte Welle brechen.» Es sei zu früh, um mit Lockerungen zu experimentieren: «Da jetzt der Eindruck erzeugt wird, wir können noch irgendwas öffnen - das ist im Augenblick nicht das Gebot der Stunde», fuhr die Kanzlerin fort. Einige würden sich noch immer Illusionen über die Pandemie und die Gefährlichkeit der Virus-Varianten machen.
«Wir haben im Grunde eine neue Pandemie»
Noch nicht ausreichend verstanden sei, dass Corona-Tests wohl wichtig seien, dass Testen allein aber keine Lösung sei. «Den Stein der Weisen» gebe es nicht, so Merkel. Das neue Virus sei aggressiver, infektiöser und tödlicher: «Wir haben im Grunde eine neue Pandemie.» Tags zuvor warnte schon ihr Kanzleramtsminister Helge Braun (66) vor gefährlichen, möglicherweise impfresistenten Cornavirus-Mutanten.
Offenbar würden ein paar Bundesländer, das Pendant zu Kantonen in der Schweiz, die verordneten Notbremsen sehr grosszügig interpretieren. Merkel bringt ein Problem zur Sprache, das in der Schweiz im «Kantönligeist» seine Entsprechung findet. Zwar gilt die Bundeskanzlerin als Verfechterin strenger Corona-Schutzregelungen. Doch allein die Länder entscheiden über die Umsetzung der Massnahmen. Dabei können sie einheitlich vorgehen - oder eben nicht. Als Negativbeispiel hebt Merkel Nordrhein-Westfalen unter Ministerpräsident und CDU-Chef Armin Laschet (60, CDU) hervor.
«Aber nicht nur er», so die Kanzlerin. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (56) von der SPD bekommt sein Fett weg: «Ich weiss jetzt wirklich nicht, ob Testen und Bummeln, wie es jetzt in Berlin heisst, die richtige Antwort auf das ist, was sich zur Zeit abspielt.»
Droht mit Mega-Lockdown
Wenn die nötigen Massnahmen nicht «in sehr absehbarer Zeit» von allen Ländern ergriffen würden, müsse sie sich überlegen, wie sie dies bundeseinheitlich regeln könne, möglicherweise über das Infektionsschutzgesetz, drohte die Kanzlerin. Sie habe einen «Amtseid» geleistet, der Schutz der Bevölkerung sei ihre «Verpflichtung».
«Wir haben doch alle das gleiche Ziel», so Merkel. «Dieses Land gut durch die Pandemie zu bringen. Sie werde «jetzt auch nicht 14 Tage tatenlos zusehen. Ich werde jedenfalls nicht zuschauen, bis wir 100'000 Infizierte haben.» Mit anderen Worten: Die Bundeskanzlerin droht mit einem Mega-Lockdown, wie die «Bild» titelt.
Merkel sieht Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen als zentrale Massnahmen gegen die Pandemie. Sie wünscht mehr Arbeit im Homeoffice und eine umfassendere Teststrategie. Sie verstehe, dass Menschen «ermüdet» seien von den Lockdowns. Doch sie fordert «Mut und Kraft» gegen die «Verzagtheit», die sich breitgemacht habe. (kes)