Abgewählt und ausgestossen. Das war Donald Trumps (75) Situation Anfang 2020. Nur noch die Irrsten der Irren bekannten sich öffentlich zum abgewählten Präsidenten und dessen grosser Lüge von der gestohlenen Wahl. Drei Tage nach dem Kapitol-Sturm sperrte Twitter den Lautsprecher aus – für immer. Wie Ratten das sinkende Schiff verliessen Kabinettsmitglieder reihenweise noch kurz vor dem Ende ihrer Amtszeit das Weisse Haus.
Wer blieb, blieb nur, um Trumps Macht einzudämmen. Trumps oberster Militärberater nahm seinen Beamten bei einem geheimen Treffen im Pentagon das Versprechen ab, Trump vom Atomknopf fernzuhalten. Und US-Vizepräsident Mike Pence (62), der um sein Leben fürchten musste, weil sein Boss den Mob gegen ihn aufgehetzt hatte, prüfte offenbar, ob er für Trump nicht noch den 25. Zusatzartikel der Verfassung bemühen könne: Trump für psychisch nicht fit zu erklären – und aus dem Amt zu entfernen. Dazu kam es dann aber doch nicht. Und auch der Versuch der Demokraten, Trump nachträglich zu impeachen, scheiterte.
Donald Trump zog sich derweil nach Mar-a-Lago zurück. Auf der Terrasse seiner Golfresidenz in Florida hielt er jeden Abend Hof. Und plante fernab von Washington schon die Rache an «illoyalen» Republikanern: mit Gegenkandidaten in ihren Wahlkreisen.
Ab Sommer ging er auf Tour. Trump-Rallys in Ohio, Alabama und Georgia zeigten: Sein Twitter-Account war weg, seine Fans nicht. Ein gutes Geschäft für Trump. In E-Mails bettelt er um Spenden, um seine massiven Wahlkampfschulden zu begleichen.
Und dann kam Iowa. Bei der Trump-Rally dort im vergangenen Oktober standen republikanische Kandidaten lächelnd neben ihm, während er die Wahlbetrugslüge wiederholte. Kein führender Republikaner äussert ein Jahr nach dem verheerenden Kapitol-Sturm laut Kritik am Ex-Präsidenten. Trump hat die Partei fester im Griff als jemals zuvor. Wer seine Gunst will, schaut in Mar-a-Lago vorbei und küsst den Ring. 83 Kandidatinnen und Kandidaten haben für die Halbzeitwahlen im Herbst bereits das Trump-Siegel bekommen.
Und auch bei den republikanischen Wählern dreht die Stimmung. Der Kapitol-Sturm wird zunehmend verharmlost. Vier von zehn halten gewaltsame Aktionen gegen die Regierung unter bestimmten Umständen für gerechtfertigt, zeigt eine Umfrage der «Washington Post». Zwölf Prozent der Bevölkerung wollen laut einer CBS/YouGov-Umfrage, dass Trump 2024 wieder antritt. Ein Drittel dieser Personen wiederum findet, dass er dafür notfalls Gewalt anwenden sollte: Millionen Amerikaner sind also bereit, einen gewaltvollen Regierungswechsel zu unterstützen.
Am 15. Januar hält Trump eine Rally in Arizona. Erwartet wird, dass er die Wahlbetrugslüge wiederholt und seinen Anteil am Kapitol-Sturm negiert.
Im November stehen die Halbzeitwahlen an. Dann werden die Demokraten ihre Mehrheit entweder verlieren – oder Trump und die Republikaner werden den Mythos von der «gestohlenen Wahl» nähren. So oder so beste Voraussetzungen für Trump, 2024 wieder anzutreten.