Auf einen Blick
- Erdbebenserie auf Santorini beunruhigt Expertinnen und Touristen
- Gefahr eines grösseren Bebens und mögliche Aktivierung des Unterwasservulkans Kolumbos
- Rund 550 Erdbeben leichter und mittlerer Intensität innerhalb von sechs Tagen
Erdbeben im Minutentakt, ausgebuchte Flüge und geschlossene Schulen: Europa schaut momentan gebannt auf die Ägäis. Innerhalb von sechs Tagen haben sich rund um die beliebte Mittelmeerinsel Santorini rund 550 Erdbeben leichter und mittlerer Intensität ereignet. Tausende Menschen fliehen aus Angst vor einem schweren Beben von der Insel.
Die Sorge, dass ein stärkeres Beben der Stärke 6 bis 7,5 folgen könnte, ist laut Joachim Ritter (61), Geophysiker am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), nicht unberechtigt. «Normalerweise liegen zwischen den Beben in der Region Monate und nicht Stunden», so der Wissenschaftler, der selbst schon in der Region geforscht hat.
«Das scheint etwas Neues zu sein»
Die Häufigkeit der vielen Erschütterungen stellt die Expertinnen und Experten vor ein Rätsel. «Das scheint definitiv etwas Neues zu sein», betont Ritter. Was hinter der ungewöhnlichen Serie von Beben steckt, sei zum gegebenen Zeitpunkt noch schwer zu sagen. «Dafür ist das Phänomen noch zu frisch.»
Der Experte ist sich sicher: Potenziell gefährdete Bereiche müssen wegen des Gefahrenpotenzials evakuiert werden. Im schlimmsten Fall würden Steinschläge oder kleinere Tsunamis drohen. «Aber auch eine geringe Wellenhöhe kann einen Menschen hinaus aufs Meer ziehen», meint Ritter.
Auch Men-Andrin Meier (41) vom Schweizerischen Erdbebendienst (SED) glaubt, dass ein grösseres Beben im Bereich des Möglichen liegt. «Die Region ist tektonisch sehr aktiv, und wir beobachten eine aktive Erdbebensequenz.» Die Beben träten häufig in Schwärmen auf, betont der Experte.
Aufenthalt an Häfen und grosse Menschenmassen meiden
Der griechische Katastrophenschutz warnt eindringlich: «Vermeiden Sie Anfahrten und Aufenthalte in den Häfen von Ammoudi, Armeni, Korfou und im alten Hafen von Fira. Wählen Sie sichere Routen, wenn Sie sich sowohl innerhalb als auch ausserhalb von Ortschaften bewegen.» Zudem sollen grosse Menschenansammlungen in Gebäuden vermieden werden. Eine grössere Evakuierungsanordnung vonseiten der griechischen Regierung blieb bisher aus.
Doch nicht nur Griechenland wappnet sich für ein grösseres Beben. Auch in der Türkei werden bereits erste Massnahmen ergriffen: Die türkische Zivilschutzbehörde Afad hat in drei Provinzen des Landes eine Warnung herausgegeben. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ordnete zudem an, dass sich Städte wie Istanbul auf mögliche Notfälle vorbereiten sollen.
Unterwasservulkan Kolumbos bereitet Experten Sorgen
Sorgen bereitet den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerin auch, dass durch die andauernden Beben der grosse Vulkan Kolumbos aktiviert werden könnte, der nordöstlich der Insel unter Wasser liegt. Er hat im Jahr 1650 bei einer gewaltigen Eruption schwere Schäden im gesamten östlichen Mittelmeer angerichtet. «Dass der Vulkan in den nächsten Jahren ausbrechen könnte, ist eine Gefahr», sagt Geophysiker Ritter. Es seien dort grosse Schmelzmengen vorhanden, weshalb die Magmakammer durch die vielen Beben aktiviert werden könnte.
«Die dortigen Umstände könnten eine Aktivierung auslösen», pflichtet auch Men-Andrin Meier vom SED bei. «Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit für ein solches Szenario klein ist, wären die Konsequenzen sehr gross.» Wie gross die Chancen sind, dass ein solcher Fall wirklich eintritt, könne man noch nicht sagen. «Es kann sein, dass sich die Situation beruhigt, sie kann sich aber auch verschärfen», so der Schweizer.
Reiseveranstalter prüfen Notregelungen
Aufgrund der angespannten Lage reagieren auch erste europäische Reiseveranstalter. «Bild» berichtet, dass einige Anbieter derzeit Notregelungen prüfen und abklären, ob kostenlose Umbuchungen für ihre Kundschaft möglich sind. Schweizer Reisende scheinen derzeit noch nicht in grossem Mass von den aktuellen Entwicklungen betroffen zu sein. Markus Flick, Mediensprecher von Kuoni und Helvetic Tours, schreibt auf Anfrage: «Santorini ist eine Destination, die in den Wintermonaten kaum Gäste aus der Schweiz verzeichnet.»
Die Reisezeit beginnt etwa im Mai – erst dann bestehen überhaupt attraktive Anreisemöglichkeiten aus der Schweiz.» Wie lange auf Santorini ein unbeschwertes Ferienerlebnis nicht möglich sein wird, sei heute nicht abschätzbar. «Kuoni empfiehlt, bereits getätigte Buchungen für Abreisen zu einem späteren Zeitpunkt derzeit nicht zu stornieren, sondern die Entwicklung abzuwarten.»