US-Präsident Joe Biden (78) hat grosse Pläne. Er will die USA aus der Corona-Krise in ein Zeitalter von Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit führen. Mit Unmengen neuer Jobs, vielen Vorteilen für Familien, günstigeren Gesundheitsangeboten. Fast 6000 Milliarden Dollar will er für verschiedene Programme aufwenden. Geben sollen ihm dieses Geld die Reichen und die Grossunternehmen.
Steuererhöhungen für Gutverdiener und das Stopfen von Schlupflöchern stehen ganz oben auf der Liste des US-Präsidenten. «Viele Unternehmen hinterziehen Steuern durch Steueroasen – von der Schweiz über die Bermudas bis zu den Cayman Islands», sagte Biden in seiner Rede vor dem Kongress am Mittwoch.
Mit einer Reform will er dafür sorgen, dass US-Unternehmen mindestens die Differenz zwischen den vor Ort gezahlten Steuern und dem amerikanischen Steuersatz obendrauf legen müssen.
Was Biden verschwieg: Auch die USA sind äusserst attraktiv für Firmen. Niemand mehr als der Bundesstaat Delaware, in den Joe Biden als Kind hinzog und 36 Jahre Senator sein durfte, bevor er es als Barack Obamas (59) Vize erstmals ins Weisse Haus schaffte.
Die Grossen sind in Delaware
Rund 65 Prozent der 500 umsatzstärksten US-Firmen haben eine Niederlassung in Delaware. Facebook, Google und Apple etwa sind allesamt Delaware Corporations. Auch Schweizer Firmen wie Nestlé oder Swissport haben dort Ableger. Nebst 970’000 Einwohnern sind im Staat rund 1,5 Millionen Unternehmen registriert.
Gründe für diese Fülle an Unternehmen gibt es vor allem drei: Steuern sparen, Rechtssicherheit und Anonymität.
Das Zehnfache an Steuern gespart
Delaware verlangt zwar Unternehmensteuern, aber nicht auf alles: Erträge aus Patenten, Markenrechten oder anderen immateriellen Vermögenswerten sind steuerfrei. Die genannten Firmen und Hunderttausende weitere haben darum Tochtergesellschaften in Delaware gegründet und diesen Markenrechte und Patente übertragen.
Eine Studie kam zum Ergebnis, dass Delaware 2011 durch Briefkastenfirmen rund 860 Millionen Dollar an Steuern einnahm, ein Viertel seines gesamten Haushalts. Anderen Staaten entgingen dabei rund 9,5 Milliarden Dollar.
Rechtssicherheit und Anonymität
Daneben hat sich Delaware in den vergangen rund 200 Jahren den Ruf aufgebaut, sehr viel Rechtssicherheit zu bieten, was für Firmen wichtig ist. Während in anderen Staaten teilweise Jurys (also Laien) über komplexe wirtschaftsrechtliche Fragen entscheiden, gibt es in Delaware ein spezielles Gericht, dessen Richter ausgewiesene Experten sind, die meist rasche Entscheidungen treffen.
Dadurch wurden bereits unzählige Präzedenzfälle geschaffen, was unter anderem Sicherheit vor langen und teuren Rechtsstreitigkeiten bietet. «Ihre einzigartige Kompetenz und Engagement in Fragen des Wirtschaftsrechts sind unübertroffen», heisst es auf der Website über die Gerichte des Staates nicht ganz unbescheiden – aber auch nicht ganz falsch.
Im Handelsregister steht der Anwalt
Und es gibt noch einen weiteren Punkt, der viele nach Delaware lockt: Kaum irgendwo ist es derart einfach, ein Unternehmen zu gründen. Denn man braucht dazu fast nichts. Im Handelsregister müssen nur Name der Firma und Adresse eingetragen werden sowie die Person, welche die Firma gegründet hat.
In der Regel ist das ein Anwalt. Aber wer hinter der Firma steckt, ist den Behörden in Delaware nicht bekannt. Ein Traum für zwielichtige Gestalten, die so sehr einfach Geld waschen oder von einer glaubwürdigen US-Adresse aus ein kriminelles Geschäft abwickeln können. Zwar gibt es ähnliche Regeln auch in anderen Staaten, aber niemand hat es derart perfektioniert.
285'000 Unternehmen an einer Adresse
An der Adresse 1209 North Orange Street in der Hauptstadt Wilmington steht ein einstöckiges Bürogebäude. Backsteine, Sicherheitskameras, neben der Türe das Logo «CT». Nichts daran ist spektakulär, ausser dass nicht weniger als 285’000 Unternehmen dort ihren rechtlichen Sitz haben, wie die «New York Times» berichtet. Darunter Grossfirmen wie Bank of America, Coca-Cola oder Ford, aber auch Betrüger oder Schmuggler wurden bereits im «Corporation Trust Center» entdeckt.
Das Ziel aller ist dasselbe: Steuern sparen, Regularien umgehen, mild gestimmte Gerichte antreffen oder, wenn nötig, Spuren verwischen.
Biden sind die Hände gebunden
Hätte Joe Biden seinen Blick deshalb nicht zuerst ins Landesinnere richten und nach zusätzlichen Einnahmen suchen müssen, bevor er die Schweiz anprangerte? Dazu fehlen ihm die Möglichkeiten. In den USA ist der Steuerwettbewerb sehr föderalistisch organisiert und damit Sache der Staaten. Das Weisse Haus darf nur bei den Bundessteuern mitreden, darum der Angriff auf die ausländischen Steueroasen.
Doch auch die inländischen geraten unter Druck. Im Januar entschied der US-Kongress, dass Holding-Gesellschaften nicht mehr anonym gegründet werden können. Die USA schaffen ein nationales Register, in das die wirtschaftlich Berechtigten von Firmen eingetragen werden müssen. Gefragt sind neu Name, Adresse, Geburtsdatum sowie eine Kopie des Führerausweises oder des Passes.
Kriminelle werden darum künftig wohl zweimal überlegen, bevor sie nach Delaware kommen. Delaware hat aus dem Grund das Gesetz auch unterstützt. Allerdings unter einer (angenommenen) Bedingung: Das Register ist nur für Banken und Strafverfolgungsbehörden einsehbar.