Die Stimmung in den USA ist aufgeheizt, kurz vor den Präsidentschaftswahlen am 5. November. Ein Plakat eines demokratischen Wählers zeigt die Worte «Fuck Donald Trump». Ein Republikaner verbreitet vor der Union Station in Washington D.C. lautstark Theorien über eine Verschwörung der Demokraten rund um Kamala Harris. Bei vielen Menschen im tief gespaltenen Amerika ist die Sorge gross, dass sich Ereignisse wie nach den Wahlen 2020 wiederholen könnten.
So auch bei Craig Sicknick (55), Bruder des verstorbenen Kapitol-Polizisten Brian Sicknick (†42). Blick trifft ihn in Washington, kurz vor den Wahlen. «Die Menschen rufen zur Gewalt auf. So etwas wie der Sturm aufs Kapitol könnte mit grosser Wahrscheinlichkeit wieder passieren, vielleicht Schlimmeres. Ich hoffe wirklich, dass ich falschliege.»
Sicknicks Tod macht Familie berühmt
Craig Sicknick war nicht immer ein Wähler der Demokraten, noch heute ist er als «Independent Voter» registriert. «Früher entschied ich mich immer je nach Kandidaten, ob ich die Republikaner oder die Demokraten wähle», sagt er. Heute will er vor allem eins: Die Wiederwahl von Donald Trump verhindern.
Es war der 6. Januar 2021, der das Leben der Familie Sicknick für immer veränderte. Brian Sicknick verteidigte das Kapitol beim Angriff Hunderter Anhänger Trumps und geriet zwischen die Fronten. Er wurde zwar nicht unmittelbar vom Mob getötet, erlitt bei diesem Einsatz jedoch zwei Schlaganfälle und starb einen Tag später im Spital.
«Es war ein Schock, ich habe monatelang fast nichts gegessen oder geschlafen», berichtet sein Bruder Craig knapp vier Jahre später. Nach dem Ereignis wurde er zu einer Person öffentlichen Interesses. Er ist seit da ein gefragter Gast im Fernsehen und tritt unter anderem zusammen mit seiner Mutter Gladys (78) bei demokratischen Veranstaltungen auf. «Eigentlich sind wir eine ruhige Familie, die lieber im Hintergrund bleibt», sagt er. Aber Craig Sicknick verspürt die Verantwortung, im Namen seines Bruders für Gerechtigkeit zu sorgen. Den Vater (85) sieht man nur selten in der Öffentlichkeit, er sei nach dem Tod seines Sohnes schnell gealtert.
Die Menschen lieben Trump
Für die Familie ist klar: Donald Trump (78) habe die Menschenmasse angeheizt und auf das Kapitol losgelassen: «Ich mache Trump vollständig für den Tod von Brian verantwortlich», so Sicknick. Gegen den ehemaligen Präsidenten gibt es eine Anklage wegen Anstiftung zu Aufruhr. Zudem wurde Trump wegen «Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten von Amerika» angeklagt. Der Prozess wurde jedoch hinausgezögert, noch hat kein Gericht über die Schuld oder Unschuld Trumps entschieden.
«Ich bin wütend, dass Donald Trump bislang ungestraft davonkommt, aber aus irgendwelchen Gründen lieben ihn die Menschen», sagt Craig Sicknick. Ironischerweise war auch sein Bruder ein Trump-Unterstützer. Bei der Wahl 2016 zwischen Trump und Hillary Clinton (77) wählte er den republikanischen Kandidaten. «Im Dienst war er aber stets neutral, wie es sich für einen Police Officer gehört», so Craig Sicknick.
«Heute ist er mein Held»
Zusammen mit ihrem dritten Bruder, der sich aus der Öffentlichkeit zurückhält, wuchsen die Sicknicks im Bundesstaat New Jersey in bescheidenen, aber glücklichen Verhältnissen auf. «Brian war immer ein schlechter Schüler, aber er war street-smart» so Craig Sicknick. In der Arbeit als Polizist habe er seine Leidenschaft gefunden und es deshalb bis zum Polizisten der United States Capitol Police geschafft. «Früher war ich immer sein Vorbild – heute ist er mein Held.» Denn am Ende starb er, weil er die Demokratie in den USA verteidigt hat. Diese Demokratie sollen die Amerikaner nun am 5. November an der Urne ebenfalls verteidigen, so Sicknick.