Zerfällt das Commonwealth?
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Nicht mehr zeitgemäss:Zerfällt das Commonwealth?

Charles' Königreich bröckelt – Blick zeigt die Treuen und die Abtrünnigen
Untertanen lassen sich nicht mehr zusammentrommeln

Da mehrere Länder genug von der britischen Krone haben, wird der Einfluss von König Charles III. in den kommenden Jahren wohl schrumpfen. Blick zeigt, welche Staaten sich vom Commonwealth absetzen dürften und welche nach wie vor zur Krone halten.
Publiziert: 20.09.2022 um 23:59 Uhr
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Charles und Camilla 2008 in Jamaikas Hauptstadt Kingston. Die ehemalige Kolonie möchte künftig Geld sehen.
Foto: WireImage
Guido Felder

Die Queen (†96) ist beerdigt, nun macht sich der neue König Charles III. (73) an die Arbeit. Sie wird nicht leicht sein. Eine seiner Hauptaufgaben besteht darin, das bröckelnde Königreich zusammenzuhalten. Politisch hat der König zwar keinen Einfluss, ein unbeliebter Monarch kann aber Loslösungsbestrebungen fördern.

Das Vereinigte Königreich besteht aus vier Ländern: England, Wales, Schottland und Nordirland. Durch die Monarchie steht das Königreich auch in einer indirekten Beziehung zu 15 Commonwealth Realms (Commonwealth-Königreiche), die zwar eigenständig sind, deren Staatsoberhaupt aber der britische Monarch ist.

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Kritische Karibikstaaten

Ina Habermann (57), Grossbritannien-Expertin an der Uni Basel, geht davon aus, dass sich gewisse Staaten von der Krone loslösen werden. Zum Beispiel Nordirland, das sich mit Irland vereinigen könnte, sowie in den nächsten zehn Jahren die Karibikstaaten. Bereits hat sich Barbados 2021 in die Unabhängigkeit begeben.

«In der Karibik würde man erwarten, dass sich Grossbritannien und die britische Krone für die Gräuel der Sklaverei entschuldigen, dass sie dieses Erbe annehmen und auch entsprechende Kompensation leisten», sagt Habermann. «Sehr verärgert sind die Menschen auch nach wie vor über den Windrush-Skandal, also die schlechte und diskriminierende Behandlung karibischer Einwanderer in Grossbritannien bis in die jüngste Zeit.»

Bei einem Besuch in der Karibik im Frühjahr wurden Prinz William (40) und seine Frau Kate wegen ihres «neokolonialistischen Auftritts» angefeindet. Auch die «Black Lives Matter»-Bewegung spielt eine Rolle.

Ruhiger sei die Lage in den weissen Siedlerkolonien wie Kanada, Australien und Neuseeland. Zwar müssten da indigene Bevölkerungen berücksichtigt werden. Die Personen, die die Gesellschaft politisch tragen, hätten aber britische Wurzeln.

Welche Staaten lösen sich von der Krone, welche bleiben? Ina Habermann schätzt für Blick die Lage ein und sagt: «Grossbritannien muss sich darauf einstellen, in Zukunft kleinere Brötchen zu backen.»

Vereinigtes Königreich

🏴󠁧󠁢󠁥󠁮󠁧󠁿 England – Selbst im Kernland des Königreichs gibt es Bestrebungen, die Monarchie abzuschaffen. «England ringt mit seiner eigenen Identität. Es war auch die treibende Kraft des Brexit, und viele hatten oder haben die Hoffnung, dass man an alte grosse Zeiten des Empires anknüpfen könnte, was sich bisher nicht abzeichnet», sagt Habermann.

Aus ihrer Sicht stehe die Monarchie aber nicht in Frage, auch wenn König Charles nicht sonderlich beliebt sei. «Er wird nach der Krönung mehr Würde annehmen, und die Menschen werden sich an ihn gewöhnen.»

🏴󠁧󠁢󠁳󠁣󠁴󠁿 Schottland – Schottland geht zu London auf Distanz, weil es einen alleinigen EU-Betritt anstrebt. Im Oktober 2023 wollen die Schotten über die Unabhängigkeit vom Königreich abstimmen. Ina Habermann: «Ich denke, die Schotten werden nicht austreten, da es doch Loyalitäten zu Grossbritannien gibt und die ökonomische Situation derzeit nicht so gut ist, dass man auf eigenen Füssen stehen könnte. Ein Beitritt zur EU würde Zeit brauchen.»

Allerdings erwartet Habermann, dass Schottland gegenüber London seinen Einfluss stärken und seine Interessen offensiver vertreten werde.

🏴󠁧󠁢󠁷󠁬󠁳󠁿 Wales – «Wales hat für den Brexit gestimmt, hier erwarte ich keine Umwälzungen», sagt Habermann.

🇬🇧 Nordirland – Es ist der grösste Wackelkandidat im Königreich. Zwar verhält sich die Democratic Unionist Party ultraloyalistisch zur britischen Krone. Allerdings sympathisieren die Katholiken mit einer irischen Wiedervereinigung. «Diese halte ich perspektivisch für denkbar, wenn nicht sogar für wahrscheinlich», sagt Ina Habermann.

Commonwealth Realms

🇦🇬 Antigua und Barbuda – Premierminister Gaston Browne (55) hat zwar König Charles anerkannt, sich aber auch für ein Referendum innerhalb der nächsten drei Jahre ausgesprochen.

🇧🇸 Bahamas – Hier wurden die Royals, William und Kate, mit der Erwartung konfrontiert, sie sollten sich für die begangenen Verbrechen an der Menschlichkeit entschuldigen. Nächstes Jahr, zur Feier der 50-jährigen Unabhängigkeit, wird die Gelegenheit ergriffen, die Beziehung zur britischen Krone zu hinterfragen.

🇧🇿 Belize – Eine kurz- bis mittelfristige Loslösung ist wahrscheinlich.

🇯🇲 Jamaika – Situation wie in Belize. Die Jamaikaner fordern vom neuen König, dass er sich dafür einsetzt, namhafte Entwicklungshilfe und Reparationszahlungen zu leisten – was aber nicht zu erwarten ist.

🇬🇩 Grenada – Loslösung denkbar.

🇰🇳 St. Kitts und Nevis – Hat ebenfalls angekündigt, seine Verbindung mit der Krone auf den Prüfstand stellen zu wollen.

🇱🇨 St. Lucia – Loslösung denkbar.

🇻🇨 St. Vincent und die Grenadinen – 2009 sagten 55 Prozent Nein. Premierminister Ralph Gonsalves (76) hat für Juli ein neues Referendum angekündigt. Es werden Reparationszahlungen gefordert und Signale ausgesendet, dass die Royals nicht willkommen seien.

🇨🇦 Kanada – Premierminister Justin Trudeau (50) hat angekündigt, dass Kanada die konstitutionelle Monarchie und den König als Staatsoberhaupt beibehalten wolle.

🇦🇺 Australien – Ein Unabhängigkeitsreferendum 1999 ist gescheitert; es gibt kritische Stimmen und eine signifikante republikanische Bewegung. Ein erneutes Referendum ist möglich.

🇳🇿 Neuseeland – Premierministerin Jacinda Ardern (42) ist Republikanerin, aber der verstorbenen Königin sehr zugetan. Sie hält eine Unabhängigkeit für nicht dringend, geht aber davon aus, dass sie sich in ihrer Lebenszeit noch ereignet.

🇵🇬 Papua-Neuguinea – Keine Schritte geplant.

🇸🇧 Salomonen – Keine unmittelbaren Unabhängigkeitspläne.

🇹🇻 Tuvalu – Keine unmittelbaren Unabhängigkeitspläne.

🇬🇮 Gibraltar (Überseeterritorium) – Unterstützt die britische Krone frenetisch und lebt in der Angst, von Spanien geschluckt zu werden.


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