Sie hasst Small-Talk, sie sehnt sich nicht danach, von allen gemocht zu werden. Sie will bloss ihren Job gut machen. «Komm damit klar und arbeite weiter», lautet ihr Motto. Nun hat die britische Innenministerin Theresa May (59) beste Chancen, Premierministerin zu werden.
Fünf Kandidaten traten nach dem Brexit-Entscheid an, um den scheidenden David Cameron (49) als Premier zu beerben. Drei sind bereits ausgeschieden. Nun duellieren sich erstmals zwei Frauen um den Posten: Theresa May und Andrea Leadsom (53). Die 150'000 Mitglieder der konservativen Partei müssen sich bis September für eine der beiden entscheiden. Denn sie haben das letzte Wort.
Theresa May ist klare Favoritin. Bereits vergleicht man sie mit der einstigen Premierministerin Margaret Thatcher (†87), bezeichnet sie als neue «Eiserne Lady», als «Thatcher 2.0», als eine Frau «hard as nails»: stahlhart. Jene, die lieber in der EU geblieben wären, halten sie für eine schlechte Kandidatin. Bloss seien die anderen noch viel schlimmer.
May profitierte davon, dass sich die Konservativen Top-Shots nach dem Brexit-Entscheid gegenseitig zerfleischten.
Erst brachte der Brexit-Befürworter und ehemalige Londoner Bürgermeister, Boris Johnson (52), seinen einstigen Saufkumpanen David Cameron als Premierminister zu Fall. Dann wurde er selbst Opfer eines hinterhältigen Verrats (BLICK berichtete). Ausgerechnet sein Handlanger in der Austritts-Kampagne, Justizminister Michael Gove (48), stellte sich selbst zur Wahl und warf Johnson «fehlende Führungsqualitäten» vor.
Doch mit seinem Mini-Coup hat sich der unbeliebte Gove innerhalb der Partei ins Abseits manövriert. Er schied aus dem Rennen. Einmal mehr bewahrheitet sich ein geflügeltes Wort der britischen Politik: «Wer das Messer schwingt, trägt nie die Krone».
May hielt sich aus den Intrigen raus – und dürfte am Ende gewinnen.
Die Pfarrerstochter May machte nicht dank Charisma Karriere oder weil sie beim Volk besonders beliebt wäre. Sondern durch Sacharbeit. Sie gilt als hartnäckige, pragmatische Politikerin. Seit sechs Jahren leitet sie das Innenministerium – länger als jeder in den vergangenen 50 Jahren. Sie tat dies so effektiv, dass sie sich zwar nicht die Sympathie, dafür aber den Respekt des Parlaments erarbeitete.
IMAGE-ERROREtwas anderes hatte sie nie gesucht: «Ich weiss, ich bin keine prahlerische Politikerin», sagte sie vergangene Woche. «Ich klappere nicht die TV-Studios ab, ich tratsche nicht über andere beim Mittagessen, ich trinke nicht in den Bars des Parlaments.» Lieber mache sie ihren Job.
Lange sprach May nicht über ihr privates Leben. Sie gilt als unnahbar und tough. Auffälligstes Merkmal sind ihre Schuhe: Mal im Leoparden-, mal im Schlangen, mal im Zebramuster. In jüngster Zeit öffnete sie sich vermehrt, sie sprach über ihre Diabetes und dass sie mit ihrem Mann, einem Investmentbanker, keine Kinder haben könne.
May will keine zweite Thatcher sein
Gegen die Vergleiche mit Margaret Thatcher hat sie sich stets gewehrt: «Ich habe kein Vorbild, dem ich nachstrebe», sagt sie bei einem Frauen-Forum im Oktober, «Ich gehe da raus und sage, was ich für richtig halte.» Ihr Handeln ist weniger von Ideologie bestimmt als davon, was sie für moralisch richtig hält. Darin ähnelt sie der derzeit mächtigsten Frau in Europa: der deutschen Kanzlerin Angela Merkel.
Mays Politik auf gewisse Positionen festzunageln, ist daher nicht einfach. Einst galt sie als eher progressiv. Legendär ist ihre Rede beim Parteitag von 2002, als sie sich mit dem Ruf der Konservativen als «nasty party» auseinandersetzte und für eine sozialere Partei warb. Sie bezeichnet sich als Feministin und stimmte für die Homo-Ehe.
Doch bei der Einwanderung ist sie ein Hardliner nah am rechten Flügel. So sagte sie nach dem Brexit-Entscheid, es gäbe keine Garantie dafür, dass EU-Bürger in Grossbritannien bleiben können. Eine Aussage, die viele schockierte.
«Brexit bedeutet Brexit»
Diffus ist ihre Position in der EU-Frage. Sie ist weder europhil noch ausgesprochene EU-Gegnerin. Nur zurückhaltend hat sie sich für den Verbleib in der Union ausgesprochen – und schwieg sonst. Aus dieser Mitte-Position könnte sie die gespaltenen Konservativen versöhnen. Oder am rechten Brexit-Lager scheitern.
Dass sie dies verhindern will, machte May zu Beginn ihrer Kandidatur klar: «Brexit bedeutet Brexit», sagte sie. «Es darf keine Versuche geben, in der EU zu bleiben, keine Versuche, über eine Hintertür wieder einzutreten und kein zweites Referendum.» Damit bleibt sie ihrem Motto unmissverständlich treu: Mit dem Brexit klar kommen – und weiterarbeiten.