Brigitte Macron hat zwei Leidenschaften – neben ihrem Mann, dem Präsidenten, natürlich. Die erste ist das kulturelle Leben. Mit der französischen Kulturministerin Rima Abdul Malak (44), die einst Beraterin im Élysée-Palast war, ist sie eng befreundet. Ihre zweite Leidenschaft ist diejenige, die ihr Berufsleben bestimmt hat: die Schule. Dieses Thema will sie auch in der Schweiz ansprechen, wo das französische Präsidentenpaar diesen Mittwoch zu einem zweitägigen Staatsbesuch eintrifft. Das Thema ist von entscheidender Bedeutung in einem Land, das noch immer von dem Mord an einem Lehrer in Arras am 13. Oktober traumatisiert ist, der von einem islamistischen Jugendlichen begangen wurde, der dort die Schule besuchte, an die er später zurückkehrte, um sein Verbrechen zu begehen.
Brigitte Macron ist 70 Jahre alt – und möchte wieder in die Schule gehen und an der Tafel sitzen. Das ist ihr vertraut, schliesslich verbrachte sie ihr ganzes Berufsleben damit, an renommierten katholischen Gymnasien Französisch und Literatur zu unterrichten. Zunächst in Amiens am Lycée La Providence, wo sie einen gewissen Schüler namens Emmanuel Macron kennenlernte. Dann in Paris, am exklusiven Lycée Saint-Louis de Gonzague.
Ihr neustes Steckenpferd? Der Kampf gegen Mobbing in der Schule, ein Drama, das am 5. September durch den Selbstmord eines jungen Teenagers in Poissy in der Nähe von Paris tragisch verdeutlicht wurde. Am Donnerstag reiste die First Lady mit der französischen Presse an, um in einem Gymnasium die neue Kampagne zu starten, die Jugendliche und Erwachsene für die Opfer von Mobbing sensibilisieren soll.
Kult um das Diplom
Fragen Sie jeden Vater oder jede Mutter einer in Frankreich lebenden Schweizer Familie: Beide werden Ihnen sagen, dass sie den Kult um das Diplom, den schulischen Wettbewerbsgeist, der in den besten Schulen bis zum Äussersten getrieben wird, nicht verstehen. «Die Schule der Republik», wie Politiker das französische Bildungssystem gerne bezeichnen, zielt viel mehr auf Spitzenleistungen als auf die Entfaltung der Schüler ab, und viel mehr darauf, ihnen theoretisches Wissen beizubringen als eine spätere Kompetenz auf dem Arbeitsmarkt. Der französisch-schweizerische Essayist François Garçon beklagt: «Dieses Land ist von den Eliten besessen. Ein normaler Schüler zu sein, ist fast inakzeptabel.»
Der hochbegabte «Manu»
Brigitte sah das stets anders und liess es in ihren Unterricht einfliessen. Bei einem ihrer Theaterkurse in Amiens kreuzte der 15-jährige Emmanuel (24 Jahre jünger als sie) ihren Weg. Der hochbegabte «Manu» gehörte nicht zu ihren Schülern. Er war aber in derselben Klasse wie Laurence Auzière, eine der Töchter der derzeitigen First Lady, die aus ihrer ersten Ehe drei Kinder hat.«Die Schulfabrik war überhaupt nicht sein Ding», schreibt die Journalistin Maëlle Brun in ihrer Biografie «L'affranchie» («Die Befreite»).
Ein duales System à la «Suisse» mit mehr Lehrlingsausbildungen hätte ihr zweifellos gefallen. «Sie gehört zu den Lehrergenerationen, die gesehen haben, wie sich ihre Klassen verändert haben, auch wenn sie immer in bürgerlichen Schulen war», erzählte die Journalistin in einer Debatte des Radiosenders RMC, als ihr Buch erschien. «Mehr Kinder muslimischen Glaubens, mehr Schulversagen, mehr soziale Ungleichheit, mehr Gewalt auf den Schulhöfen ... Als Macron 2017 zum Präsidenten gewählt wird, kennt sie Frankreich viel besser als er. Ihr Barometer ist auch die Schulmüdigkeit der Familien.» Die Geschichte besagt, dass die Lehrerin Brigitte Macron verlangte, zu Beginn des Schuljahrs alle Eltern der Schüler zu sehen. Ohne Ausnahme. Es gab keine Ausreden, nicht einmal für die viel beschäftigten wie den Luxusmilliardär Bernard Arnaud (74), dessen Tochter in «Franklin», so der Spitzname des Gymnasiums Saint-Louis de Gonzague, Französisch lernte.
Ein zweiter Bildungsminister?
Ist die First Lady also eine zweite Bildungsministerin? Das ist nicht falsch. Und vielleicht auch nicht unnötig in einem Land, in dem ohnehin alles auf den Präsidenten zurückgeht. «Es stimmt, dass ich Brigitte manchmal ein SMS geschickt habe, um eine Antwort von Emmanuel zu erhalten», gestand der ehemalige Minister Jean-Michel Blanquer vor seinem Ausscheiden aus der Regierung im Jahr 2022. Roselyne Bachelot, ehemalige Kulturministerin und Politikerin mit legendärer Direktheit, bestätigt uns das und ärgert sich gleichzeitig. «Das Gute an ihr ist, dass sie sich für schulische und kulturelle Angelegenheiten einsetzt. Sie arbeitet hart, Brigitte! Die Lehre in der Schweiz wird sie interessieren», erzählte uns die Autorin von «682 Tage», ihren Memoiren als Ministerin während der Covid-Pandemie, bei einem Abendessen in Genf. «Störender ist, dass Brigitte dazu neigt, uns alle für ihre Schüler zu halten. Einige ihrer Bemerkungen kommen bei Schülern wie mir, die im selben Alter sind wie sie, weniger gut an.»
Willkommen in der Schweiz!
Brigitte und Emmanuel: die Lehrerin und der Schüler. Die First Lady hasst diese Verkürzung, die von allen Franzosen und den Medien seit ihrem Einzug in den Élysée-Palast im Mai 2017 gemacht wird. «Die Leute denken, dass ich über ihn wache, aber das ist ein Irrtum. Meine Schüler waren nicht so zerstreut ...», lachte sie an einem Wahlkampftag im Oktober 2016 in einem Zug nach Strassburg. Zu seiner allerersten Wahlveranstaltung waren sie und der Kandidat Macron mit dem TGV in die elsässische Metropole gereist. Wir hatten uns Seite an Seite getroffen. Sobald sie aus dem Zug ausgestiegen waren, hatten sich die beiden Ehepartner übrigens getrennt. Er, um ein Bad in der Menge zu nehmen und dann auf die Bühne zu gehen. Sie besuchte eine Schule und sprach über den Beginn des neuen Schuljahrs.