Missachtungsstreit
Streit verzögert Brexit-Debatte im britischen Unterhaus

London – Heftige politische Turbulenzen haben am Dienstag den Beginn der entscheidenden Debatte im britischen Unterhaus über das Brexit-Abkommen verzögert.
Publiziert: 04.12.2018 um 15:29 Uhr
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Aktualisiert: 04.12.2018 um 14:38 Uhr
Parlament kann ihn ins Turmzimmer sperren: Der britische Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox nach einem Kabinettstreffen in Downingstreet 10 in London. l
Foto: KEYSTONE/EPA/FACUNDO ARRIZABALAGA

Aus Verärgerung über die Weigerung der Regierung, ein internes Rechtsgutachten zu dem Abkommen vorzulegen, setzten die Abgeordneten zunächst eine Debatte über Parlamentsmissachtung an.

Sie könnte zu einer Suspendierung des Generalstaatsanwalts führen, der für das Gutachten verantwortlich ist. Die Turbulenzen im Parlament demonstrierten erneut, wie gering der Einfluss der Regierung von Premierministerin Theresa May auf die Abgeordneten derzeit noch ist.

Eigentlich sollte im Plenum bereits am Dienstagmittag eine fünftägige Mammutdebatte über den umstrittenen Brexit-Vertrag mit der EU beginnen. An deren Ende ist für den 11. Dezember das entscheidende Votum geplant.

Der Brexit-Fahrplan - so geht es weiter
  • 12. März: Das Parlament stimmt im sogennanten «meaningful vote» über das zwischen May und der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen ab. Zum zweiten Mal entschied das Parlament gegen Mays Deal (mit 391 zu 242 Stimmen).
  • 13. März: Die Premierministerin lässt darüber abstimmen, ob Grossbritannien die EU ohne Deal verlassen soll. Das wäre ein harter Brexit, der wegen fehlender Übergangsbestimmungen in ein Chaos führen könnte. Kommt es bei der Abstimmung zum No-Deal zu einem Nein, entscheidet das Parlament für oder gegen eine Verschiebung des Brexit.
  • 14.März: Die Abgeordneten entscheiden über die Brexit-Verschiebung. Nein = EU-Austritt am 29. März, vermutlich ohne Deal; Ja = London bittet EU um Verlängerung der Frist.
  • Für die Umsetzung eines Abkommens müssen mindestens 20 EU-Länder zustimmen, die für 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen. Kommt eine Mehrheit nicht zustande, tritt Grossbritannien ohne Deal aus der EU aus.
  • Der Austritt erfolgt in jedem Fall am 29. März 2019.
  • 12. März: Das Parlament stimmt im sogennanten «meaningful vote» über das zwischen May und der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen ab. Zum zweiten Mal entschied das Parlament gegen Mays Deal (mit 391 zu 242 Stimmen).
  • 13. März: Die Premierministerin lässt darüber abstimmen, ob Grossbritannien die EU ohne Deal verlassen soll. Das wäre ein harter Brexit, der wegen fehlender Übergangsbestimmungen in ein Chaos führen könnte. Kommt es bei der Abstimmung zum No-Deal zu einem Nein, entscheidet das Parlament für oder gegen eine Verschiebung des Brexit.
  • 14.März: Die Abgeordneten entscheiden über die Brexit-Verschiebung. Nein = EU-Austritt am 29. März, vermutlich ohne Deal; Ja = London bittet EU um Verlängerung der Frist.
  • Für die Umsetzung eines Abkommens müssen mindestens 20 EU-Länder zustimmen, die für 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen. Kommt eine Mehrheit nicht zustande, tritt Grossbritannien ohne Deal aus der EU aus.
  • Der Austritt erfolgt in jedem Fall am 29. März 2019.

May plädiert für Brexit-Deal

Sollte Premierministerin May dann im Parlament keine Mehrheit für den von ihr ausgehandelten Vertrag finden, droht ein ungeordneter Austritt mit unabsehbaren Folgen für Grossbritannien und die EU.

May wollte im Plenum noch einmal eindringlich für die Annahme des Abkommens werben. Dieses entspreche dem Wunsch des britischen Volkes, hiess es in vorab veröffentlichten Redeauszügen.

"Die Briten erwarten von uns einen Deal, der das Ergebnis des Referendums würdigt und uns als Land wieder zusammenkommen lässt." Das mit Brüssel ausgehandelte Abkommen könne dies gewährleisten.

Ihr am Dienstag geplanter Auftritt verzögerte sich aber: In einer hitzigen Debatte setzten die Abgeordneten am Montagabend zunächst eine Debatte über Parlamentsmissachtung durch die Regierung an.

Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox hatte das Plenum mit der Weigerung verärgert, sein Rechtsgutachten zum Brexit-Abkommen vollständig vorzulegen. Er liess den Abgeordneten nur eine Zusammenfassung zukommen.

Eine vollständige Vorlage stünde "dem öffentlichen Interesse entgegen" und würde Staatsgeheimnisse offenbaren, sagte er am Montagabend unter dem Protest der Abgeordneten im Parlament. Cox resümierte, dass das Brexit-Abkommen zwar "nicht zufriedenstellende" Elemente enthalte, als Ganzes aber einen "friedlichen und geordneten" Austritt aus der EU gewährleiste.

Das Unterhaus hatte vor wenigen Wochen in einer Resolution verlangt, Einsicht in das komplette Gutachten zu bekommen. Die Abgeordneten warfen der Regierung deshalb nun eine Missachtung des Parlaments vor. Darüber wollten sie am Dienstag zunächst debattieren.

Sollte eine Mehrheit zu dem Schluss kommen, dass die Regierung tatsächlich das Parlament missachtet hat, kann es den Generalstaatsanwalt suspendieren. Die Statuten sehen ausserdem vor, dass die Abgeordneten ihn für eine Nacht in einem Turmzimmer des Westminster-Palastes einsperren können. Von dieser Disziplinarmassnahme wurde allerdings seit Juni 1880 nicht mehr Gebrauch gemacht.

Briten könnten Brexit wieder zurückziehen

Der Ausgang des Votums über das Brexit-Abkommen in der kommenden Woche gilt als offen. Wegen parteiübergreifender Vorbehalte war zunächst keine Mehrheit für Mays Vorlage in Sicht.

Auftrieb erhofften sich die Brexit-Gegner von einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Der dortige Generalanwalt vertrat am Dienstag die Auffassung, dass Grossbritannien den in Brüssel eingereichten Antrag auf Austritt aus der EU einseitig wieder zurückziehen könne.

Die Möglichkeit einer Rücknahme der Brexit-Erklärung besteht nach Ansicht von Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona bis zum Zeitpunkt des Abschlusses des Austrittsabkommens.

Wann und ob eine Entscheidung in dem EuGH-Verfahren fällt, blieb zunächst unklar. Es war von Brexit-Gegnern aus verschiedenen britischen Parteien angestrengt worden.

Brexit

Mit Brexit ist der Austritt des Vereinigten Königreichs von Grossbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union gemeint. In einem Referendum über Austritt oder Verbleib ihres Landes in der EU stimmten die Briten im Juni 2016 mit rund 52 Prozent für den Brexit.

Was für Folgen hat der Brexit?

Mit dem Brexit verliert die Europäische Union nicht nur ein Mitglied mit einer starken Volkswirtschaft. Es bedeutet auch den bisher grössten Rückschlag für die Idee eines vereinigten Europas, die von vielen europäischen Politikern vorangetrieben wird.

Viele Fragen zu den Folgen des Brexits sind offen. Für einige EU-Länder ist das Vereinigte Königreich ein wichtiger Absatzmarkt für seine Produkte innerhalb der EU. Vor diesem Hintergrund wird dort vor allem über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Brexits für den Exportsektor diskutiert. Viel gravierender wirkt sich der Brexit auf die Freizügigkeit bei Reisen von und nach Grossbritannien aus. Nicht viel ändern wird sich für Touristen aus den Ländern des Schengenraums, zu denen auch die Schweiz gehört. Ganz anders sieht es für Arbeitnehmer aus, die nicht mehr frei nach Grossbritannien einreisen können, um dort zu arbeiten. Aktuell betrifft dies vor allem viele Bürger aus osteuropäischen EU-Ländern, die in Grossbritannien leben und arbeiten.

Mit Brexit ist der Austritt des Vereinigten Königreichs von Grossbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union gemeint. In einem Referendum über Austritt oder Verbleib ihres Landes in der EU stimmten die Briten im Juni 2016 mit rund 52 Prozent für den Brexit.

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