Das am Mittwochabend publik gemachte «Yellowhammer»-Dokument war bereits vergangenen Monat an die Presse durchgesickert und enthält Prognosen darüber, was bei einem Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union ohne Abkommen passieren dürfte. Für Aufsehen sorgt besonders, dass der Titel offenkundig entschärft wurde.
Unruhen drohen
In dem mehrseitigen Dokument wird vor Protesten und Störungen der öffentlichen Ordnung gewarnt. Dies könnte eine «erhebliche Menge» der Polizeikräfte in Anspruch nehmen. Eher pessimistisch äussern sich die Experten in den Dokumenten, ob wirklich eine harte Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland vermieden werden kann.
Kritiker fürchten in dem Fall politische Unruhen. Selbst auf dem Meer wird mit Ärger gerechnet: Es könnte zu Auseinandersetzungen zwischen britischen Fischern und Kollegen aus EU-Ländern kommen.
Hamsterkäufe treiben Preise in die Höhe
Wegen Zollkontrollen könnten den Dokumenten zufolge am Ärmelkanal tagelange Wartezeiten für Lastwagen entstehen. Es könnte bis zu drei Monate dauern, bis sich die Lage beruhigt. Dies führe womöglich unter anderem zu Lieferengpässen bei Medikamenten.
In der Folge könnten Krankheiten bei Tieren ausbrechen, die wiederum die menschliche Gesundheit gefährden.
Einige Lebensmittel wie frisches Gemüse dürften knapp werden. Hamsterkäufe könnten das Problem verschlimmern - schon jetzt decken sich viele Briten vorsichtshalber mit Waren ein. Lagerhallen für empfindliche Produkte sind längst ausgebucht. Die Engpässe und Hamsterkäufe führen den Dokumenten zufolge zu steigenden Preisen - nicht nur bei Lebensmitteln. Auch der Treibstoff soll teurer und knapper werden.
Längere Wartezeiten für Reisende
Ferienreisende müssten sich auf Flughäfen, bei Fahrten mit Fähren über den Ärmelkanal und bei Nutzung des Eurotunnels den Prognosen zufolge in Geduld üben.
Die Experten fürchten zudem, dass die britische Exklave Gibraltar nicht genügend auf den ungeregelten Austritt vorbereitet ist. So ist an den Grenzen zu Spanien wegen drohenden Kontrollen mit langen Wartezeiten zu rechnen.
«Yellowhammer»-Dokument wirft Fragen auf
Das Parlament hatte die Regierung in London in der vergangenen Woche zur Veröffentlichung der Dokumente unter dem Namen «Operation Yellowhammer» gezwungen. Staatssekretär Michael Gove, der im Kabinett von Premierminister Boris Johnson für die No-Deal-Brexit-Planungen zuständig ist, betonte am Mittwoch, das Papier sei lediglich ein Szenario für den schlimmsten Fall und keine Vorhersage der wahrscheinlichen Entwicklung. Auch solle es noch aktualisiert werden.
Das am Mittwochabend publik gemachte «Yellowhammer»-Dokument war bereits vergangenen Monat an die Presse durchgesickert und enthält Prognosen darüber, was bei einem ungeregelten EU-Austritt Grossbritanniens passieren dürfte. Für Aufsehen sorgt besonders, dass der Titel inzwischen offenkundig geändert wurde.
Spielt die Regierung die Brexit-Konsequenzen herunter?
Der «Sunday Times»-Journalistin Rosamund Urwin waren schon vor Wochen inhaltisch identische Dokumente mit der Überschrift «Grundlegendes Szenario» zugespielt worden, wie sie auf Twitter schrieb. Die von der Regierung nun veröffentlichten Papiere tragen den Titel «Planungsannahmen für den schlimmsten Fall».
Durch die geänderte Überschrift könnte sich die Opposition in ihrer Vermutung bestätigt sehen, dass die Regierung die möglichen Folgen eines ungeregelten EU-Austritts am 31. Oktober herunterspielt. «Operation Yellowhammer» (Goldammer) ist der Code-Name für die No-Deal-Planung der britischen Regierung.
Opposition verlangt weitere Dokumente
Mit den Veröffentlichungen bleibt die Regierung weit hinter den Forderungen des Parlaments zurück. Die Abgeordneten hatten am Montag, kurz vor dem Beginn einer von Johnson auferlegten fünfwöchigen Zwangspause, die Herausgabe sämtlicher Dokumente zu den No-Deal-Planungen verlangt. Zudem forderten sie die komplette Korrespondenz dazu an, inklusive E-Mails und Kurznachrichten wichtiger Regierungsmitarbeiter und Berater. Staatsminister Michael Gove wies die Forderung als «unangemessen und unverhältnismässig» zurück. Die Regierung müsse die Privatsphäre ihrer Mitarbeiter schützen.
Hintergrund der Forderung nach der Korrespondenz war die Vermutung, Johnson wolle das Parlament mit der Zwangspause schlicht kaltstellen, um einen No-Deal-Brexit durchziehen zu können. Der Premier droht offen damit, sein Land ohne Abkommen aus der EU zu führen, sollte sich Brüssel nicht auf seine Forderungen nach Änderungen am Austrittsabkommen einlassen. Dabei hat das Parlament inzwischen ein Gesetz verabschiedet, dass ihn zum Beantragen einer Verlängerung zwingt, sollte nicht rechtzeitig ein Deal mit der EU zustande kommen.
Zwangspause des Parlaments ist illegal
Am Mittwoch schloss sich ein schottisches Gericht der Auffassung der Johnson-Kritiker an und erklärte die Zwangspause für unrechtmässig. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass Johnson tatsächlich der Kontrolle durch das Parlament entgehen wollte. Das Gericht kündigte an, die Zwangspause - die eigentlich erst am 14. Oktober enden soll - für «null und nichtig» zu erklären.
Oppositionsabgeordnete riefen die Regierung dazu auf, das Parlament umgehend wieder einzuberufen. «Sie sollten uns zurückrufen, damit wir unsere Arbeit machen können», sagte der Labour-Abgeordnete Hilary Benn dem britischen Sender Sky News. Doch die Regierung wies die Forderungen zurück und kündigte an, zunächst Berufung einzulegen beim obersten britischen Gericht, dem Supreme Court. Dort soll am Dienstag kommender Woche über die Angelegenheit verhandelt werden.
Eine Sprecherin von Parlamentspräsident John Bercow teilte mit, es liege in der Zuständigkeit der Regierung, die Zwangspause vorzeitig zu beenden. Johnson äusserte sich am Mittwoch nicht zu dem Urteil.
Johnson hat EU keine neuen Vorschläge gemacht
Nach Angaben des EU-Parlamentspräsidenten David Sassoli hat Johnsons Regierung noch keinen neuen Vorschlag für die Modalitäten des Austritts aus der EU gemacht. Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier hatte zuvor die Fraktionsvorsitzenden des Europaparlaments über den Stand der Vorbereitungen auf den Brexit informiert.
«Bis jetzt hat Grossbritannien keine Alternativen vorgeschlagen, nichts, was rechtlich glaubwürdig und funktionsfähig wäre», sagte Sassoli.
Das Europaparlament sei zu einer erneuten Verschiebung des Austrittsdatums bereit, falls Grossbritannien dafür gute Gründe angebe - beispielsweise die Vermeidung eines Austritts ohne Austrittsvertrag oder eine Neuwahl. «Leider zeigen die Signale, die wir bekommen, nicht, dass es irgendeine Initiative gibt, die die Verhandlungen wieder eröffnen könnte.» (SDA)
Wenige Wochen vor dem geplanten EU-Austritt Grossbritanniens am 31. Oktober geht das Ringen um den Brexit in die heisse Phase. Diese Termine lassen sich absehen:
- 24. September
Entscheid des Supreme Courts über die Zwangspause der Parlaments.
- 25. September
Nach dem höchstrichterlichen Urteil in Grossbritannien gegen die von der Regierung verfügte fünfwöchige Zwangspause des Parlaments kommen die Abgeordneten früher wieder zusammen.
- Expertengespräche Grossbritanniens mit der EU über Änderungen am Austrittsvertrag in Brüssel.
- 29. September bis 2. Oktober
Parteitag der regierenden britischen Konservativen in Manchester.
- 15. Oktober
In Luxemburg wollen die verbliebenen 27 EU-Länder auf Ministerebene über den Brexit beraten
- 17. und 18. Oktober
EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs.
- 19. Oktober
Frist im Gesetz gegen No-Deal-Brexit läuft ab. Sollte bis dahin kein Austrittsabkommen ratifiziert sein, muss der britische Premierminister eine Verschiebung des Brexits beantragen.
- 31. Oktober
Voraussichtlich letzter Tag der britischen EU-Mitgliedschaft.
(SDA)
Wenige Wochen vor dem geplanten EU-Austritt Grossbritanniens am 31. Oktober geht das Ringen um den Brexit in die heisse Phase. Diese Termine lassen sich absehen:
- 24. September
Entscheid des Supreme Courts über die Zwangspause der Parlaments.
- 25. September
Nach dem höchstrichterlichen Urteil in Grossbritannien gegen die von der Regierung verfügte fünfwöchige Zwangspause des Parlaments kommen die Abgeordneten früher wieder zusammen.
- Expertengespräche Grossbritanniens mit der EU über Änderungen am Austrittsvertrag in Brüssel.
- 29. September bis 2. Oktober
Parteitag der regierenden britischen Konservativen in Manchester.
- 15. Oktober
In Luxemburg wollen die verbliebenen 27 EU-Länder auf Ministerebene über den Brexit beraten
- 17. und 18. Oktober
EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs.
- 19. Oktober
Frist im Gesetz gegen No-Deal-Brexit läuft ab. Sollte bis dahin kein Austrittsabkommen ratifiziert sein, muss der britische Premierminister eine Verschiebung des Brexits beantragen.
- 31. Oktober
Voraussichtlich letzter Tag der britischen EU-Mitgliedschaft.
(SDA)
Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seitdem findet ein langwieriger Prozess der Kompromissfindung zwischen britischer Politik und der EU statt. Am 31. Januar 2020 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Behalten Sie den Überblick im Brexit-Chaos mit dem Newsticker von Blick.ch.
Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seitdem findet ein langwieriger Prozess der Kompromissfindung zwischen britischer Politik und der EU statt. Am 31. Januar 2020 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Behalten Sie den Überblick im Brexit-Chaos mit dem Newsticker von Blick.ch.