Kurz nach 15 Uhr dröhnt der Lärm von Schiffshörnern über dem Suezkanal. An Land und auf Deck wird gejubelt und geklatscht: Das Containerschiff «Ever Given» zieht endlich Leine! Nach fast einer Woche, in welcher der japanische Frachter eine der wichtigsten Verbindungen für den Welthandel verstopft hatte.
Seit Tagen war gezogen und gezerrt, gebaggert und einfach nur gehofft worden. Das 400 Meter lange und 220'000 Tonnen schwere Schiff war am vergangenen Dienstag bei starken Böen auf Grund gelaufen und stand seither quer im stark befahrenen Kanal. Auf beiden Seiten der «Ever Given» stauten sich die wartenden Frachter. Für die über 360 Schiffe war an ein Durchkommen nicht mehr zu denken.
Fast wäre die Bergung gescheitert
In der Nacht auf Montag kam dann etwas Hilfe von den Gezeiten dazu. Schlepper-Schiffe, die rund um das Containerschiff in Position gegangen waren, profitierten von der Vollmond-Flut und zerrten die «Ever Given» mühsam vom Land los. Zuerst tat sich zwischen dem Heck und dem Ufer eine Lücke von nur ein paar wenigen Metern auf. Dann löste sich der Frachter immer weiter.
Um ein Haar hätte die Bergung am Montag aber noch in einem erneuten Debakel gemündet: Starke Winde drohten zwischenzeitlich, das Schiff in Richtung Land und so zurück in eine Blockade abdriften zu lassen. Schliesslich schafften es die Experten aber, den Frachter wieder in Fahrtrichtung zu positionieren. Die Suez-Route war wieder frei. Selbst Ägyptens Präsident Abdel Fatah Al-Sisi (66) frohlockte und dankte den Involvierten für ihre Anstrengungen und dafür, dass sie «die Krise im Kanal beendet» hatten.
Am Nachmittag setzte sich die «Ever Given» Richtung Norden in Bewegung. Das Schiff, das eigentlich in Rotterdam (Niederlande) erwartet wird, muss nun im Kanal zuerst einen Zwischenstopp in den Bitterseen einlegen. Dort soll der Frachter einer genauen Inspektion unterzogen werden.
Blockade kostete jeden Tag Milliarden
Neben Hohn und Spott, die das festgefahrene Schiff vor allem in den Sozialen Medien abbekommen hatte, bleiben nach der Blockade vor allem horrende Kosten für den Welthandel. Rund 9 Milliarden Franken kostete der Mega-Stau – pro Tag! Der Kanalbetreiber SCA zögerte zwar nicht lange und bestätigte umgehend, dass der Verkehr über die Wasserstrasse nun wieder aufgenommen werde. Experten gehen aber davon aus, dass es noch Tage dauern wird, bis sich der Betrieb auf der Route normalisieren wird.
Der Weg durch Ägypten ist der kürzeste Schifffahrtsweg zwischen Asien und Europa. Allein im vergangenen Jahr fuhren 19'000 Schiffe durch den Suezkanal. Die Alternative ist der Weg um das südafrikanische Kap der Guten Hoffnung. Diese Route dauert aber fast eine Woche länger und ist auch deutlich gefährlicher. Immer wieder werden Frachter an der Küste Westafrikas von Piraten überfallen. Nach dem Auflaufen der «Ever Given» haben einige Reedereien aber sogar dieses Risiko zähneknirschend in Kauf genommen und ihre Schiffe umgeleitet.