Bei uns kennt ihn fast niemand – und trotzdem ist er einer der mächtigsten Politiker der EU! Manfred Weber (51) ist seit zehn Jahren Fraktionsvorsitzender der grössten Partei im EU-Parlament, der Europäischen Volkspartei (EVP). Der Job ist so wichtig wie nie. Denn Europa steht vor den EU-Wahlen im Juni am Scheideweg: Braucht es eine eigene Armee, sogar eine eigene Atombombe? Wie viel Druck darf die EU auf die Schweiz ausüben? Und was sagt der 51-Jährige zur Anti-EU-Haltung der SVP? Blick hat dem EU-Politiker in Strassburg (F) auf den Zahn gefühlt.
Herr Weber, seit den letzten Europawahlen hat sich die Welt verändert. Was macht Ihnen am meisten Sorgen?
Manfred Weber: Die Sicherheit, die Stabilität sowie der Friede in Europa, die gefährdet sind. Es macht mir auch Sorgen, dass sich viele Menschen dessen so noch nicht bewusst sind, wie fundamental sich die Welt verändert hat.
Wie wird sich die Weltlage verändern, wenn die Amerikaner Donald Trump wählen?
Es ist allein Sache der Amerikaner, ihren Präsidenten zu bestimmen. Aber klar ist, dass 330 Millionen Amerikaner nicht dauerhaft bereit sein werden, 440 Millionen EU-Bürger zu verteidigen – egal, wer im Weissen Haus sitzt.
Was heisst das für die europäische Sicherheitspolitik?
Wir müssen stärker auf eigenen Füssen stehen. Wir müssen so stark werden, dass niemand Gedanken daran verschwendet, die europäischen Staaten anzugreifen. Putin hasst die Art, wie wir in Freiheit und Demokratie leben.
Wie wollen Sie das angehen?
Als Erstes brauchen wir einen Binnenmarkt für Rüstungsgüter, die wir dringend benötigen und die wir gemeinsam beschaffen. Gerade bei der Munition ist Europa ziemlich nackt in einer Welt von Stürmen. Wir haben 17 Panzerarten, die Amerikaner eine – wir haben 380 verschiedene Waffensysteme, die Amerikaner 30. Wir müssen auch dafür sorgen, dass wir unsere Rüstungsaufträge selber ausführen können und nicht alles den USA überlassen.
Der 51-jährige Bayer Manfred Weber ist einer der einflussreichsten Politiker Europas. Vor 20 Jahren wurde er ins aktuell 705-köpfige EU-Parlament gewählt, wo er der Europäischen Volkspartei (EVP) angehört. Seit zehn Jahren ist er deren Vorsitzender und amtet gleichzeitig als Vize-Vorsitzender der CSU. 2019 hatte er gute Chancen für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten, die EU-Staats- und Regierungschefs entschieden sich aber überraschend für Ursula von der Leyen (65). Der Diplomingenieur mit Spezialthema technischer Umweltschutz ist verheiratet. Er ist Katholik und besucht wöchentlich den Gottesdienst zur «Bereicherung».
Der 51-jährige Bayer Manfred Weber ist einer der einflussreichsten Politiker Europas. Vor 20 Jahren wurde er ins aktuell 705-köpfige EU-Parlament gewählt, wo er der Europäischen Volkspartei (EVP) angehört. Seit zehn Jahren ist er deren Vorsitzender und amtet gleichzeitig als Vize-Vorsitzender der CSU. 2019 hatte er gute Chancen für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten, die EU-Staats- und Regierungschefs entschieden sich aber überraschend für Ursula von der Leyen (65). Der Diplomingenieur mit Spezialthema technischer Umweltschutz ist verheiratet. Er ist Katholik und besucht wöchentlich den Gottesdienst zur «Bereicherung».
Fordern Sie die Schaffung einer europäischen Armee?
Wir brauchen starke nationale Armeen. Wir brauchen aber auch mehr Zusammenarbeit, einen gemeinsamen Raketenschutzschirm sowie den Aufbau von gemeinsamen Truppenteilen, etwa einer Cyberabwehr.
Wie stehen Sie zu einem gemeinsamen Heer?
Eine europäische Armee ist keine neue Idee. Längerfristig gehe ich davon aus, dass die EU gemeinsame Interventionstruppen haben muss. Blicken wir auf die Sahelzone, wo sich Franzosen und Deutsche zurückziehen und der Wagner-Gruppe und den Islamisten das Feld überlassen. Lasst uns gemeinsame Sache machen, wenn wir unsere gemeinsamen Interessen verteidigen wollen.
Braucht Europa eine eigene Atombombe?
Die europäischen Staaten brauchen jedenfalls einen nuklearen Schutzschirm. Heute decken dies die USA ab. Frankreich hat anderen Staaten in diesem Bereich eine Zusammenarbeit angeboten. Es ist ein historisches Versagen, dass die deutsche Bundesregierung das Gesprächsangebot nicht mehr aufgegriffen hat. Klar ist, wir reden hier nicht von einer EU-Atombombe.
Wann wird die Ukraine in die EU aufgenommen?
Die Aufnahme von Beitrittsgesprächen ist ein enorm wichtiges psychologisches Signal. Die Ukrainer haben eine Perspektive. Sie wissen, dass die Türe offensteht, wenn die Kriterien eingehalten werden.
Solange Krieg und Korruption herrschen, kann eine Aufnahme nicht zur Diskussion stehen.
Korruption ist ein grosses Problem. Die Ukraine hat noch viel zu tun. Aber der Prozess der Anbindung an die EU stärkt die Kräfte, die reformieren wollen.
Sie reden von einem näheren Zusammenrücken in Europa. Braucht es die Vereinigten Staaten von Europa?
Ich sehe es eher als Identitätsfrage. Nämlich, dass wir uns als Europäer verstehen und Europa als gemeinsame Heimat ansehen. Wie wir die Strukturen gestalten, wird immer ein Prozess sein. Schon heute setzt die EU Standards für die Menschen auf diesem Kontinent in einer Dichte, wo sich die Staatlichkeitsfrage ein Stück weit stellt – zum Beispiel in der Migrations-, Wirtschafts- und Umweltpolitik.
Und solche in Brüssel erarbeiteten Standards sollten auch für die Schweiz gelten? Oder was erwarten Sie von den Verhandlungen über die bilaterale Zusammenarbeit, die nun wieder aufgenommen werden?
Es gibt viele Sympathien für die Schweiz. Deswegen will jeder, dass wir einen guten Weg dafür finden, wie wir die Themen unserer Zeit gemeinsam anpacken können. Der Weg, den die Schweiz definiert, wird in Brüssel absolut respektiert und akzeptiert. Trotzdem braucht es Spielregeln, die die Zusammenarbeit klären und über die wir jetzt wieder verhandeln.
Die SVP spricht von totaler Unterwerfung. Wollen Sie die Schweiz unterwerfen?
Wenn es den Wunsch gibt, Teilen der europäischen Integration beizutreten, setzt man sich als Partner zusammen und versucht, einen Weg zu finden. Und das ist das, was die EU anbietet.
Können Sie verstehen, dass man sich in der Schweiz darüber sorgt, dass man automatisch EU-Recht übernehmen soll?
Es kann nicht alles auf Jahrzehnte fixiert sein. Es braucht ein atmendes System, um sich an Entwicklungen anpassen zu können. Ich glaube, dass auch Schweizer Bürger Sicherheit haben wollen, ich denke etwa an Produktestandards bei Importen.
Ein heisses Eisen ist die Migration. Wie wollen Sie die in den Griff kriegen?
Für mich ist klar, dass die Ankunftszahlen zu hoch sind und zu viele kommen, die weder Kriegsflüchtlinge noch Asylberechtigte sind. Es ist wichtig, dass wir den Migrationspakt, den wir im Dezember abgeschlossen haben, jetzt umsetzen und wir an den Aussengrenzen direkt rückführen können. Wir wollen entscheiden, wer kommen kann, und nicht die Schlepperbanden.
Ein weiteres Thema, in dem Sie sich ins Zeug legen, ist der Verbrennermotor. Sie haben angekündigt, dass sie das vom EU-Parlament beschlossene Verbot bekämpfen wollen. Soll man jetzt kein Elektroauto mehr kaufen?
Das Verbot des Verbrenners ab 2035 war ein schwerer politischer Fehler von der linken Mehrheit des Parlaments. Ich stehe vollkommen hinter dem Ziel, ab 2035 kein Fahrzeug mehr zuzulassen, das Kohlendioxid produziert. Das kann man aber auch mit der Entwicklung von neuen Brennstoffen – etwa CO₂-neutralen Kraftstoffen aus Pflanzenfett – erreichen.