Was er zerstörte, was er bewirkte
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Vier Jahre Trump:Das waren die absurdesten Ereignisse

Bilanz nach 4 Jahren Trump
Was er zerstörte, was er bewirkte

Ob er nun will oder nicht: Am Mittwoch tritt der umstrittenste Präsident der US-Geschichte ab. Was bleibt von Donald Trump?
Publiziert: 19.01.2021 um 01:23 Uhr
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Aktualisiert: 18.06.2021 um 14:29 Uhr
  • China konfrontiert
  • Demokratie untergraben
  • Israel und Araber versöhnt
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Als erster US-Präsident wurde Donald Trump zum zweiten Mal impeacht.
Foto: AFP
Fabienne Kinzelmann

Man kann Donald Trump (74) vieles vorwerfen. Eines nicht: eine folgenlose Amtszeit.

In seinen vier Jahren im Weissen Haus hat der 45. Präsident der Vereinigten Staaten für mehr Wirbel gesorgt als vermutlich alle seine Vorgänger zusammen. Kaum ein Tag ohne Nachrichten über den Mann im mächtigsten Amt der Welt: den Pleite-Unternehmer, den Reality-TV-Star, den politischen Neuanfänger – und ja, den Wirren.

Realität zählt für Trump nicht. Von seiner Amtseinführung («die grösste jemals!») bis hin zu den haltlosen Wahlbetrugsvorwürfen, mit denen er mehr als 60-mal vor zahlreichen Gerichten scheitert, hat Trump laut einer Zählung der «Washington Post» mindestens 30'529-mal gelogen.

Ein US-Präsident, der gerade zum zweiten Mal impeacht wurde – als erster Amtsinhaber überhaupt. Nach seinem Twitter-Account verlöre Trump bei einer Amtsenthebung weitere Insignien seiner Macht: Personenschutz, Pensionszahlungen über jährlich 200'000 US-Dollar, ein Reisebudget in Millionenhöhe – und das Recht, 2024 erneut zu kandidieren.

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Was er zerstörte

Trump pfiff auf internationale Bündnisse und Abkommen. Er trat aus dem Pariser Klimavertrag aus, kündigte das Atomabkommen mit dem Iran, provozierte die Führung. Vor einem Jahr standen die beiden Länder kurz vor dem Krieg, aktuell flammen die Spannungen im Persischen Golf wieder auf.

Verbündete wie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (65) oder den französischen Präsidenten Emmanuel Macron (43) beleidigte Trump und startete einen Handelskrieg mit Europa – mit Auswirkungen auf die Schweiz. Bei Diktaturen und autoritären Regierungen biederte er sich dafür an. Er kuschelte mit Saudi-Arabien, schmeichelte Chinas Präsident Xi Jinping (67) und bat ihn laut dem ehemaligen nationalen Sicherheitsberater John Bolton (72) gar um indirekte Wahlhilfe: China solle mehr Sojabohnen und Weizen von US-Farmern kaufen, um Trumps Chancen auf eine Wiederwahl zu verbessern.

Gegenüber Nordkorea fuhr Trump einen Zickzack-Kurs. Erst führte er relativ erfolgreich die Politik des maximalen Drucks weiter, drohte mit einem Präventivschlag. Dann suchte er Kim Jong Uns Nähe, traf sich mit ihm in Singapur und Hanoi (Vietnam). Das zweite Treffen scheiterte. Status: Es ist kompliziert.

Krieg führte Trump gegen die eigene Bevölkerung. Kaltherzig versuchte er, das Schutzprogramm für die sogenannten «Dreamer», den Nachwuchs illegaler Einwanderer, zu beenden, und trennte selbst Kleinkinder an der Grenze zu Mexiko von ihren Eltern. Stoppen konnten ihn nur Gerichte. Trump hetzte gegen politische Feinde. Gegen die grösstenteils friedlichen «Black Lives Matter»-Proteste bot er die Nationalgarde auf.

Im eigenen Land zerstörte Trump das Vertrauen in Wissenschaft, Medien und Demokratie, etablierte Begriffe wie «alternative Fakten» und «Fake News». Sprach trotz mehr als 60 verlorenen Prozessen von «Wahlbetrug». Seine Andeutungen, falschen Behauptungen, Attacken beflügelten seine Anhänger und gipfelten schliesslich in einer Attacke aufs Kapitol, das Herz der amerikanischen Demokratie.

Was er bewirkte

Für seine Anhänger liest sich Trumps Amtszeit wie ein Leistungsausweis voller Erfolge. Dass er die Mauer nie gebaut hat: geschenkt. Er hat Steuern gesenkt, sich hinter Waffenfans gestellt, die US-Botschaft in Israel nach Jerusalem verlegt und den IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi (†48) zur Strecke gebracht.

In seiner Regierung hat Trump vom evangelikalen Vizepräsidenten Mike Pence (61) bis zum erzkatholischen Aussenminister Mike Pompeo (57) auf religiöse Hardliner gesetzt – mit direkten Auswirkungen auf die Politik. So sorgten die USA im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen per Veto etwa für eine völkerrechtliche Vereinbarung, die Frauen in Kriegen selbst bei einer Vergewaltigung das Recht auf Schwangerschaftsabbruch abspricht.

International hat Trump nicht nur für Spannungen gesorgt. Kurz vor der Corona-Krise schlossen die USA feierlich Frieden mit den Taliban. Unter Mithilfe der USA gab es im Nahen Osten eine ganze Handvoll Friedensabkommen – etwa zwischen Bahrain und Israel. Der Nahostkonflikt indes bleibt ungelöst.

Am deutlichsten sichtbar ist Trumps Einfluss bei den Gerichten. Fast ein Viertel aller aktiven Bundesrichter sowie drei von neun Richtern am Obersten Gerichtshof hat Trump in seiner Amtszeit ernannt.

Über Trumps Handelszoff mit China schütteln Wirtschaftsexperten zwar den Kopf – doch auch sie loben den positiven Nebeneffekt: Chinas Kampf um die globale Vorherrschaft wurde so zum Thema.

Was er hinterlässt

Einen Scherbenhaufen. Joe Biden (78) muss sich um internationale Bündnisse kümmern, um vernachlässigte Themen wie den Klimawandel – und nicht zuletzt ein von Rassenungleichheit über die Wirtschaft bis Corona tief gespaltenes Land.

Anfang Oktober etwa, als die USA längst im Griff der zweiten Welle waren, sagten laut einer «Pew»-Umfrage nur 24 Prozent der registrierten Republikaner, das Corona-Management spiele bei ihrer Wahlentscheidung eine Rolle – bei den Demokraten waren es 82 Prozent. Selbst heute, mit rund 400'000 Corona-Toten, ist die Impfgegner-Bewegung auf dem Vormarsch. Im US-Kongress sitzen jetzt Abgeordnete wie die QAnon-Verschwörungstheoretikerin und Maskengegnerin Marjorie Taylor Greene (46) oder Lauren Boebert (34) aus Colorado, die verbotenerweise ihre Waffe im Sitzungssaal trägt.

Apropos Corona: Trumps schlechtes Krisenmanagement wird die USA noch über Jahrzehnte beschäftigen. Die Armut hat sich im vergangenen Jahr massiv verschärft. Ende November hatten laut einer Statistik der US-Regierung rund 27,7 Millionen der erwachsenen Amerikaner manchmal oder häufig nicht genug zu essen. Mehr als 85,4 Millionen haben Schwierigkeiten, normale Haushaltskosten zu bezahlen.

Joe Biden muss die Ungleichheit angehen, die demokratischen Institutionen wieder stärken und das Land einen. Sein grösster Gegner dabei: der Trumpismus. Er hat die Republikaner erfasst, die Trump aus purem Opportunismus und Machtwillen unterstützen, und das Land. Trump hat seine Wählerschaft seit 2016 sogar erhöht. Mehr als 72 Millionen Menschen haben ihn 2020 gewählt – so viele Stimmen hat noch nie ein republikanischer Präsidentschaftskandidat bekommen. Mehr als drei Viertel davon sind glühende Fans, schätzt der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama (68). Nur gut 20 Prozent könnten noch erreichbar sein.

Trump hat eine Verrohung der republikanischen Partei beschleunigt. Die Parteiforschung verortet die Republikaner teilweise weiter rechts als die AfD in Deutschland. Das erschwert den politischen Kompromiss und Reformbedarf für Joe Biden. Und dann stehen neben Trump selbst noch seine Kinder Donald Jr. (43) und Ivanka (39) parat, um 2024 anzutreten.

Wie soll Amerika künftig mit Trump umgehen? Nichte Mary Trump (55), die ein viel beachtetes Buch über ihren Onkel geschrieben hat, setzt sich dafür ein, ihm für seine Präsidentschaft keine weitere Anerkennung und Aufmerksamkeit zukommen zu lassen: Trump solle einfach nur als «45» in Erinnerung bleiben – eine Nummer, kein Titel.

Bei Joe Bidens Vereidigung am Mittwoch in Washington wird Trump nicht dabei sein. Es ist ein würdeloser Abgang nach einer würdelosen Amtszeit.

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