Wenn Joe Biden am 20. Januar vereidigt wird, ist er nicht nur der bei Amtsantritt älteste Präsident – sondern auch erst der zweite Katholik. «Die Bibel sagt uns, dass es für alles eine Zeit gibt – eine Zeit zum Bauen, eine Zeit zum Ernten, eine Zeit zum Säen. Und eine Zeit zum Heilen», zitierte der bald 78-Jährige bei seiner Siegesrede am Samstag aus dem Alten Testament. «Dies ist die Zeit, um Amerika zu heilen.»
Religion spielt im US-Wahlkampf eine besondere Rolle. Zur Wählermobilisierung etwa oder um den Charakter eines Kandidaten zu unterstreichen – positiv wie negativ. Dass ein Kandidat religiös ist, wird praktisch vorausgesetzt. Rechtfertigen muss er sich dann, wenn er keiner protestantischen Glaubensrichtung angehört. So wie etwa der Mormone Mitt Romney (73) – oder John F. Kennedy (1917–1963), der erste römisch-katholische US-Präsident. Beide mussten immer wieder betonen, dass ihr Glaube keine Auswirkungen auf ihre politischen Entscheidungen haben würde.
«Meine Vorstellung kommt direkt aus meiner Religion»
Ganz anders Joe Biden. Wie John F. Kennedy hat er irische Wurzeln, ist katholisch aufgewachsen – will seinen Glauben aber keinesfalls verstecken. «Ich bin so sehr kultureller Katholik, wie ich gläubiger Katholik bin», schrieb Biden in seiner Biografie. «Meine Vorstellung von mir selbst, von der Familie, von der Gemeinschaft, von der weiten Welt kommt direkt aus meiner Religion.»
Noch immer kommt Biden einmal im Monat zur Messe in die Saint Joseph Church in Wilmington, wie sein Freund Ed Weirauch (60) BLICK erzählte. Seite an Seite würden sie jeweils gemeinsam beten. «Egal, ob Senator, Vizepräsident oder Präsidentschaftskandidat – Joe kommt regelmässig.»
In den protestantisch geprägten USA gilt: Je gläubiger ein Wähler ist, desto eher wählt er republikanisch – «God Gap» nennt die Wissenschaft diese Beobachtung. Auch Katholiken sind den Demokraten im Gegensatz zur Ära Kennedy schon lange untreu geworden. Bei der Wahl 2016 stimmten laut «American National Election Studies» 56 Prozent der weissen Katholiken für Trump.
Biden und Trump kämpften um die katholischen Wähler
Die Katholiken wollte Biden im Wahlkampf zurückgewinnen. Kampagnenfotos zeigten ihn etwa bei seinen Treffen mit Papst Franziskus. Franziskus sei «die Verkörperung der katholischen Soziallehre, mit der ich aufgewachsen bin. Die Idee, dass jeder Mensch ein Recht auf Würde hat, dass die Armen besonders bevorzugt werden sollten, dass man die Pflicht hat, die Hand auszustrecken und integrativ zu sein», zitiert der «Guardian» Biden. Im ersten TV-Duell gegen Donald Trump kritisierte Biden seinen Kontrahenten dafür, dass dieser und seine Mitarbeiter «auf irische Katholiken wie mich runterblicken».
Doch auch Trump bemühte sich um die Stimmen katholischer Wähler. Nachdem er bei der christlichen Wählerschaft an Zustimmung verloren hatte, ging er in die Offensive. Peinlicher Höhepunkt: sein Bibel-Foto vor der St. John's Episcopal Church in Washington. In Michigan und Pennsylvania – Swing States mit vielen Katholiken – gab er laut US-Medien besonders viel Geld für Werbespots aus, in denen er behauptete, Biden «würde amerikanische Katholiken zwingen, für Abtreibungen zu zahlen, und seine katholischen Werte opfern, um vor dem linken Mob niederzuknien». Mit Justizminister Will Barr (70) hat Trump denn auch einen erzkonservativen Katholiken an vorderster Front.
Katholiken gratulierten begeistert
Wie eine AP-Umfrage zeigt, räumten Trump und Biden am Ende etwa gleich viele Stimmen der Katholiken ab: etwa 50 Prozent gingen an Trump, 49 Prozent an Biden. Nach Bidens Wahlsieg gratulierten katholische Bischöfe überschwänglich. «In diesem Augenblick der amerikanischen Geschichte haben Katholiken eine besondere Pflicht, Friedensstifter zu sein, Brüderlichkeit und gegenseitiges Vertrauen zu fördern und für einen erneuerten Geist des wahren Patriotismus in unserem Land zu beten», sagte etwa José Gomez, Erzbischof von Los Angeles und Präsident der US-Konferenz der katholischen Bischöfe.
Dabei wollte Joe Biden nach zwei fehlgeschlagenen Versuchen (1988 und 2008) gar nicht mehr antreten. US-Medien berichten, er habe nur deshalb noch mal kandidiert, um Trump zu stoppen.
In einem Artikel von «The Atlantic» heisst es über Bidens katholisch geprägte Kindheit, die Familie habe in der Nähe einer Ordensgemeinschaft gelebt. Die Schwestern hätten ihn im Lesen, in Mathematik und in der christlichen Lehre unterrichtet. Und sie hätten immer wieder betont, dass man eine Verpflichtung gegenüber der Welt um einen herum habe – auch über die eigene Familie hinaus.