Berset zu Berns erfolgreicher Strategie in der Coronavirus-Pandemie
Darum hat es die Schweiz anders gemacht als Deutschland

Das Schweizer Erfolgsrezept im Kampf gegen die Corona-Pandemie habe auch mit dem Schweizer Demokratieverständnis zu tun, sagt Bundesrat Berset einer führenden deutschen Zeitung. Verkalkuliert habe sich der Bundesrat im Oktober mit Öffnungsplänen ohne Impfungen.
Publiziert: 13.06.2021 um 00:19 Uhr
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Aktualisiert: 13.06.2021 um 09:19 Uhr
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Der für die Covid-19-Pandemie hauptsächlich zuständige Bundesrat Alain Berset.
Foto: Philippe Rossier

Es scheint schon fast, als hätte der Kampf gegen die Covid-19-Pandemie auch das Schweizer Selbstverständnis beflügelt. Im Winter noch zeigten europäische Spitzenpolitiker mit dem Drohfinger auf die Schweiz, mit der Öffnung der Skipisten auch dem Virus Tür und Tor zu öffnen. Es sollte ganz anders kommen. Heute würden «viele Deutsche neidisch in die Schweiz blicken», schreibt die deutsche Tageszeitung «Welt». Eine Ausgangssperre habe es dort nie gegeben, auch Schulen und Skipisten blieben nach der ersten Welle geöffnet. Trotzdem stehe die Alpenrepublik heute nicht schlechter da. Gesundheitsminister Alain Berset (49) erklärt der Zeitung im Gespräch die Gründe für den Schweizer Sonderweg.

Berset sagt, es sei noch nicht geklärt, wie gut der Schweizer Weg funktioniere. Dabei habe der Schweiz auch der im Land ausgeprägte Dienstleistungssektor geholfen, was die Verlegung von Arbeit ins Homeoffice erleichterte. «Länder mit einer starken Industrie wie Deutschland», so Berset, «haben eine andere Ausgangslage.»

Trotzdem war die Entwicklung der Infektionskurve in Deutschland zuweilen besser als in der Schweiz, was Berset mit einem «politischen Trade-off» erklärt. Die «oberste Maxime» der Schweiz sei stets gewesen, «Leid im umfassenden Sinn zu verhindern. Das betrifft die Bereiche physische und psychische Gesundheit, Wirtschaft, die Kultur und gesellschaftliche Bedürfnisse gleichermassen.» Es galt, zwischen allen Bereichen die bestmögliche Balance herzustellen.

Vorzüge der halbdirekten Demokratie

Eine Risikoabwägung zwischen Wirtschaft und Gesundheit halte er für falsch: «Wenn es der Gesundheit eines Landes nicht gut geht, geht es der Wirtschaft auch nicht gut – und umgekehrt.» Je mehr über das Virus bekannt wurde, desto besser habe die Schweizer Regierung «das Optimum zwischen persönlicher Freiheit und notwendigen Massnahmen suchen» können.

Dies habe erlaubt, einen Teil-Shutdown früher zu beenden - das genaue Gegenteil davon, was Deutschland gemacht hatte. Berset zieht den Vergleich zu einer Wanderung, die viel länger als geplant dauere. Für Menschen könne das frustrierend sein, nicht alle könnten durchhalten: «Wenn man alle an Bord haben will, ist es besser, gleich zu Anfang zu sagen, dass es länger dauert, und am Ende etwas zu kürzen. Nach dieser Prämisse haben wir gearbeitet.»

Zur Pandemie-Bekämpfung in Deutschland spricht die «Welt» von einer «Infantilisierung» der eigenen Bevölkerung, in deren Zuge lieber mehr verboten wurde, damit niemand Freiheiten missbrauche. Das wäre in der Schweiz kaum möglich gewesen, so Berset. Der Bundesrat habe sich auf seine langjährige Erfahrung mit der halbdirekten Demokratie gestützt: «Es gibt fast nichts, das bei uns nicht zur Abstimmung kommt. Wir stehen also immer im sehr engen Kontakt mit der Bevölkerung über politische Themen.»

Naive Oktober-Pläne

Auch habe die Politik der Wissenschaft nicht zu blind vertraut, so Berset. Trotz Dialog zur Pandemiebekämpfung mit der wissenschaftlichen Taskforce des Bundes: «Wir haben bei Weitem nicht einfach umgesetzt, was die Wissenschaft empfohlen hat.» Die Verantwortung liege am Ende bei der Regierung. Diese müsse das Optimum für die ganze Gesellschaft finden.

So habe man zuerst die Schulen geschlossen, nach der ersten Welle aber festgestellt, dass sie kein Treiber der Infektion seien. Daher sei man zum Schluss gekommen, mit einer erneuten Schliessung mehr Schaden als Nutzen anzurichten. Stattdessen habe man auf Masken- und Testkonzepte gesetzt und bei Ausbrüchen auf einzelne, zeitlich begrenzte Schliessungen.

Trotzdem habe man auch Fehler gemacht, räumt Berset ein. So sei es naiv gewesen, im Oktober schon an Grossveranstaltungen zu denken, ohne Impfungen für solche Pläne zu haben. «Anfang Oktober hat uns dann die zweite Welle sehr heftig getroffen, und wir haben natürlich alles sofort gestoppt.» Ein grosser Erfolg sei dagegen die Schweizer Impfstrategie: «Wir haben von Anfang an auf mRNA-Impfstoffe gesetzt und sind heute eines der wenigen Länder der Welt, die exklusiv damit impfen.» (kes)

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