Es ist ein Schauspiel. Deutschland, Frankreich, Italien, Polen und Portugal buhlen allesamt um Erdgas aus dem Senegal und aus Mauretanien, nachdem der russische Präsident Wladimir Putin (70) den Gashahn zugedreht hat. Diese Länder liefern wiederum in die Schweiz. Für den Senegal eine Chance. Es ist hoch verschuldet, muss teure Kredite abbauen und die steigenden Lebenshaltungskosten sind ein Problem.
2014 fand man an der Grenze Senegals zu Mauretanien unter dem Meeresboden ein beachtliches Erdgasvorkommen. Seitdem arbeiten beide Länder an der Ausbeutung und versprechen sich Einnahmen in Milliardenhöhe. Mindestens dreissig Jahre lang soll Erdgas gefördert werden, die Gewinne teilen sich die Energieriesen BP und Kosmos sowie die senegalesische und mauretanische Regierung. Ein Grossteil der Anlagen, die Gasplattform GTA, steht schon. Ab kommendem Jahr will ein Konsortium unter Leitung von BP mit der Gasförderung beginnen.
«Das Gas ist eine riesige Chance»
Thierno Seydou Ly von der staatlichen senegalesische Öl- und Gasfirma Petrosen sagt dem «Spiegel»: «Das Gas ist eine riesige Chance für unser Land.» Man stehe mit dem deutschen Energielieferanten Uniper in Verhandlungen. Tatsächlich war Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz (64) im Mai zu Besuch im Senegal und sprach von einer «Zeitenwende». Es sei sinnvoll, eine Kooperation bei der Gasförderung «intensiv zu verfolgen», zitierte ihn die Nachrichtenagentur DPA.
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Allerdings beschweren sich laut verschiedener Berichte die ortsansässigen Fischer. Wegen des Baus der Gasanlage ist nämlich ein Teil der Küste gesperrt. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace warnt ausserdem vor einem unkalkulierbaren Risiko für das Ökosystem, da sich unweit der Gasanlage wichtige Meeresschutzgebiete befänden. Darüber hinaus wird Kritik am deutschen Bundeskanzler laut, weil er erst noch vor kurzem erklärte, man wolle weg von fossilen Energien kommen.
«Gleichwertiger Partner Europas»
Tobias Haller (57), Direktor des Instituts für Sozialanthropologie der Universität Bern, sagt mit Blick auf Senegal grundlegend: «Es gibt sicher schlechtere Situationen, um etwas rauszuschlagen.» Die Frage sei allerdings, was dies für die Umwelt bedeute und was schliesslich der Bevölkerung zugutekomme. Denn laut Haller sind die Fischerei und die Ökosysteme miteinander verbunden. Zu Bundeskanzler Scholz sagt der Institutsdirektor: «Die Widersprüchlichkeit liegt in der Aktualität.» Politiker wollten wiedergewählt werden.
Christoph Kannengiesser (59), Hauptgeschäftsführer des Afrikavereins der deutschen Wirtschaft, sagt indes: «Gas war immer als Brückentechnologie vorgesehen.» Daran ändere sich nichts, wenn es aus dem Senegal statt aus Russland komme. Zudem sei es «wie bei allen grossen Infrastrukturprojekten unumgänglich», dass auch die Zivilgesellschaft betroffen wäre. «Der Senegal kann zunächst erreichen, in der Energiekooperation als gleichwertiger Partner Europas wahrgenommen zu werden.» Die Regierung um Präsident Macky Sall sei bereit, Flüssigerdgas zu exportieren, mache aber klar, dass die Entwicklung des eigenen Landes an erster Stelle stehe. «Das ist ein Meilenstein, nicht nur für den Senegal, sondern für den gesamten Kontinent.»