Nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs herrscht Alarm in den europäischen Geheimdienst-Zentralen. In vielen Ländern gibt es Hinweise auf russische Spione. Diese werden als offizielle Diplomaten in die jeweiligen Staaten eingeschleust und versuchen dann, an Informationen zu gelangen.
Auch in der Schweiz zeigt sich: Der russische Geheimdienst ist präsent. Genaue Details gibt der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) auf Anfrage von Blick nicht bekannt. Allerdings stelle man «anhaltend aggressive russische Spionage-Aktivitäten» in der Schweiz fest.
«Ein Drittel» könnten Spione sein
Die meisten russischen Nachrichtendienste würden laut NDB «unter diplomatischer Tarnung» agieren. Rund «ein Drittel» der in der Schweiz akkreditierten russischen Diplomaten seien entweder identifizierte Angehörige des russischen Nachrichtendienstes oder würden verdächtigt, unter dem diplomatischen Deckmantel für den Geheimdienst tätig zu sein, hält der NDB fest. Um wie viele Personen es sich genau handelt, sagt der Nachrichtendienst nicht.
Allerdings verbuche man auch immer wieder Erfolge im Kampf gegen die russischen Spionage, teilt der NDB mit. So entdeckte man 2016 und 2017 Spuren einer Geheimdienst-Einheit. Diese wurde anschliessend in den Niederlanden verhaftet. «Das Team wäre mit grosser Wahrscheinlichkeit anschliessend auch gegen die Schweiz aktiv geworden; die internationale Zusammenarbeit dürfte einen Cyberangriff auf das Labor Spiez verhindert haben.»
Ausserdem habe Russland immer wieder Angriffe gegen in der Schweiz ansässige Sportorganisationen ausgeübt. In den Fokus geriet vor einigen Jahren beispielsweise die Weltantidopingagentur (Wada) aufgrund der Untersuchungen zum russischen Doping-Programm.
Viele Aktivitäten bleiben unentdeckt
Auch andere europäische Staaten entdeckten russische Spione. In der Slowakei etwa wurden alleine im März drei mutmassliche russische Spione des Landes verwiesen, berichtet die «Financial Times». Diese agierten unter dem Diplomaten-Deckmantel.
So etwa der russische Militär-Attaché Sergei Solomasow. Dieser erteilte Aufträge an Spione, sein Netzwerk reichte bis in den slowakischen Geheimdienst. Enttarnt wurde er nur, weil slowakische Agenten eines seiner Treffen filmten.
Im Zuge des Ukraine-Kriegs teilten bis heute vier baltische Staaten mit, gegenüber 25 mutmasslichen russischen Agenten Landesverweise ausgesprochen zu haben. Polen wies gar 45 russische Diplomaten aus. Es handle sich dabei um «Undercover-Agenten», so die offizielle Begründung.
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Viele Aktivitäten bleiben allerdings unentdeckt. Zwar mache man immer wieder Maulwürfe ausfindig. Aber dabei handle es sich wohl nur «um die Spitze des Eisbergs», sagt Russland-Experte Keir Giles von der Denkfabrik Chatham House gegenüber der «Financial Times».
Russland baue die Geheimdienst-Aktivitäten so schnell aus, dass man mit Gegenmassnahmen «kaum noch mithalten» könne, sagt ein hochrangiger Militär gegenüber der «Financial Times». Russland baue sein Spionage-Programm schnell aus, ein Gegenschlag werde «immer schwieriger».
Bürokratien verhindern Spionage-Kampf
In Deutschland, Frankreich und Belgien etwa seien «Dutzende russische Agenten» aktiv. Auch Österreich sei «untergraben» von russischen Spionage-Aktivitäten. Ein nicht näher genannter Diplomat sagt, das österreichische Verteidigungsministerium sei eigentlich «eine Aussenstelle des russischen Nachrichtendienstes».
Die meisten Staaten stützen sich auf Informationen aus Grossbritannien und den USA. Die Ressourcen in den eigenen Ländern reichen oft nicht aus, um die russischen Spionage-Aktivitäten vollumfänglich aufzudecken.
Es bräuchte ein «geeintes und schlagkräftiges» Vorgehen aller europäischen Staaten, um die Spionage der Russen effektiv zu bekämpfen, sagt Russland-Analyst Gustav Gressel gegenüber der «Financial Times». Doch: «Die Bürokratien in Europa sind dafür nicht vorbereitet.»
In der Schweiz bleiben die russischen Spionage-Aktivitäten «ein Hauptfokus» des NDB, teilen die Behörden auf Anfrage mit. «Der Ukraine-Krieg hat die Richtigkeit dieses Schwerpunkts bestätigt.»