Der Rückzug im südukrainischen Cherson ermöglicht es dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (70), im Osten des Landes zusätzliche Soldaten einzusetzen. Dort toben heftige Kämpfe. In der Umgebung der Stadt Bachmut verzeichneten die russischen Truppen unlängst einige Geländegewinne. Wie der britische Militär-Wissenschaftler Michael Clarke vom Londoner King's College im Nachrichtensender Sky News erklärt, seien diese Erfolge mit sehr hohen Verlusten verbunden.
Besonders intensiv toben die Kämpfe laut Clarke auf der Frontlinie zwischen den Städten Swatowe und Kreminna. Dort verläuft eine wichtige Strasse, die Russland mit der Stadt Luhansk verbindet. «Das ist eine der Hauptarterien für die Versorgung», sagt er. Wenn die Russen diese verlieren, müssten sie lange Umwege in Kauf nehmen. «Ich glaube, das sind die intensivsten offenen Kämpfe, die ich seit dem Beginn des Krieges gesehen habe.»
«Können Verluste nicht mehr lange verkraften»
Wie Clarke weiter erklärt, habe Russland Luftlandetruppen von Cherson in die Donbass-Region verlegt. «Vor ein paar Wochen haben wir geglaubt, diese Schlacht könnte bald vorüber sein. Aber in Swatowe und Kreminna schlagen sich die Russen ziemlich gut.» Ob Putins Truppen diesen Druck aufrechterhalten können, ist laut dem Militärexperten jedoch eine andere Frage. «Sie können Verluste in dieser Grössenordnung nicht mehr lange verkraften», sagt Clarke.
Moskau verliert Berichten zufolge zwischen 700 und 800 Soldaten pro Tag. Aber auch die Ukrainer würden eine beachtliche Anzahl Truppen verlieren, sagt Clarke, wenn auch weniger als ihre Gegner. «Aber die Russen werfen einfach Männer in diese Angriffe mit menschlichen Wellen. Sie haben Kriminelle ganz vorne, Verurteilte, die sie aus den Gefängnissen geholt haben, dahinter folgen mobilisierte Truppen und schliesslich zuhinterst die regulären Truppen.»
General versprach «Zermalmen des Feindes»
Die Aufgabe der regulären Truppen sei es, auf jeden zu schiessen, der sich zurückziehe. «Die Idee ist also: Entweder du gehst vorwärts oder du stirbst. Das verursacht ihnen riesige Verluste.»
Verantwortlich für die Strategie ist Putins oberster General für den Ukraine-Krieg, Sergei Surowikin (56). Bei seiner Ernennung im Oktober versprach er ein hohes Angriffstempo und ein «Zermalmen des Feindes». Zu seiner Taktik gehört laut Clarke auch, mit dem Lahmlegen der ukrainischen Elektrizitätsversorgung Druck auf die Zivilbevölkerung auszuüben.