Es gibt in den USA diesen Witz über zwei Schwestern: Eine fuhr zur hohen See, die andere wurde Vizepräsidentin. Von beiden hat man danach nie wieder etwas gehört. Und es stimmt schon: Vizepräsidenten fristen traditionell ein undankbares Dasein abseits des Rampenlichts. John Nance Garner, einst Vizepräsident unter Franklin D. Roosevelt, sagte mal, das Amt sei nicht mehr wert als «ein Kübel voller warmer Pisse». Trotzdem: Von der ersten Frau im zweithöchsten Amt der USA hätte man mehr erwartet.
Kamala Harris (58) aber hat bislang auf der ganzen Linie enttäuscht. Mehr als die Hälfte aller Amerikaner finden, die Ex-Senatorin aus Kalifornien habe ihren Job nicht im Griff. Selbst auf der demokratischen Seite fragt man sich offen, ob die Frau mit dem breiten Lächeln und den indo-afrikanischen Wurzeln vielleicht von Anfang an eine Fehlbesetzung war.
Videos von ihren jüngsten Auftritten machen die Runde, sie zeigen eine überforderte Politikerin. Bei einem Podium zur Klimakrise sagte sie wortwörtlich: «Wir werden zusammenarbeiten und weiter zusammenarbeiten, um diese Probleme anzugehen, um diese Herausforderungen anzupacken, und um zusammenzuarbeiten, während wir weiterhin mit den neuen Normen, Regeln und Vereinbarungen arbeiten, die wir beschliessen, um zusammenzuarbeiten. Wir werden zusammenarbeiten.»
Katastrophal bei der Migration
Das ist Politiker-Sprech in Reinform. Weniger Inhalt geht nicht. Eine Kommentatorin auf Twitter meinte dazu, Harris wirke einmal mehr wie eine Schülerin, die einen Vortrag halten müsse über ein Buch, das sie nicht gelesen hat.
Geradezu katastrophal läuft es für die Vizepräsidentin beim einzigen wichtigen Dossier, das ihr Joe Biden (79) zugeschanzt hat: der Migration. Weit mehr als zwei Millionen illegaler Migranten haben die amerikanische Südgrenze seit Anfang Jahr bereits überquert: viermal mehr als noch 2020, als Donald Trump schon von einem «Notstand» sprach. Republikanische Gouverneure in Amerikas Südstaaten haben damit begonnen, die Migranten in überfüllten Bussen und Flugzeugen in die demokratischen Städte im Norden zu schicken, um den Politikern in New York und Washington «die Augen zu öffnen». Und Kamala Harris? Von ihr sind keine konkreten Lösungsvorschläge zu hören. Ein deutliches Statement fehlt. Sie hat das Dossier nicht im Griff.
In der heissen Phase der Midterms (die Zwischenwahlen finden am kommenden Dienstag statt) hätte man von Harris erwartet, dass sie wenigstens als Wahlkämpferin aufblüht. Doch anders als ihr Vorgänger Mike Pence, der an der Seite von republikanischen Kandidaten durchs Land tourt, versteckt sich Harris an Spendengalas und wagt sich nicht über die demokratisch kontrollierten Grossstädte hinaus. Sollten sich die Prognosen bestätigen und die Republikaner am Dienstag die Zwischenwahlen deutlich gewinnen, dann bleibt für Kamala Harris nur noch ein Schritt, um ihrer Partei den dringend nötigen Schwung zu verschaffen: Sie muss zurücktreten und Platz machen für neue Kräfte abseits des Rampenlichts.