Der Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo lodert wieder auf. Den Serben ist sauer aufgestossen, dass die Kosovaren einen Antrag für den EU-Beitritt stellten. So kam es am Sonntag abermals zu Schusswechseln, nachdem kosovarische Streitkräfte angeblich versucht hatten, eine Barrikade der Serben abzubauen.
Am späten Montagabend versetzte Belgrad seine Streitkräfte in höchste Alarmbereitschaft – mit der «Bereitschaft bis zum Einsatz bewaffneter Gewalt», wie die Regierung verlauten liess. Denn Serbien will Kosovo nicht als autonomen Staat anerkennen und bestärkt die serbische Minderheit im Norden des Landes, sich der Autorität zu widersetzen.
Scheinbar mitten im Geschehen: der russische Präsident Wladimir Putin (70), der regelmässig für Zündstoff auf dem Balkan sorgen soll. «Putin versucht die Stabilisierung der Region seit Jahren zu torpedieren», sagte Daniel Bochsler (43), Politikprofessor an der Central European University in Wien und an der Universität Belgrad, schon im März zu Blick.
Daran hat sich nichts geändert. Putin pflegt enge Beziehungen mit Serbien. Beispielsweise steht mit Aleksandar Vulin (50) neu ein Kreml-Vertrauter an der Spitze des serbischen Geheimdienstes. Welche Rolle spielt Putin im Balkan-Konflikt?
Russland investiert und liefert Gas
Ulrich Schmid (57), Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St. Gallen, sagt: «Die Verbindungen entlang der Achse Belgrad-Moskau sind historisch gewachsen.» Er führt aus: «In Serbien gibt es viele prorussische Stimmen, und Russland hat Einfluss in der öffentlichen Sphäre Serbiens.» Das Land erhalte aus Russland günstiges Gas. «Auch bei der Eisenbahn arbeitet man zusammen.» Putin nütze diese prorussische Grundstimmung für seine politischen Zwecke aus.
Balkan-Experte Konrad Clewing (55) vom Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung sagt: «Die serbische Regierung hat eigene Interessen gegenüber dem Land.» Russland und der Westen würden sich deshalb um eine «Pendelbewegung» zwischen beiden Seiten bemühen. «Allerdings ist die ‹Richtungnahme› zu Moskau hin in jüngster Zeit stärker.» Zudem habe Putin ein Interesse daran, dem Westen politisch wie strategisch zu schaden. «Dazu greift er gern auf Serbien zurück.»
«Eskalation wird reale Gefahr»
Können die jüngsten Vorkommnisse auf dem Balkan womöglich als Ablenkungsmanöver im Ukraine-Krieg gesehen werden? «Das ist zu viel gesagt», so Russland-Experte Schmid. Allerdings komme das serbische Truppenaufgebot Russland sehr gelegen, weil damit Aufmerksamkeit von der Ukraine abgezogen werde. «Eine militärische Eskalation ist ausserdem sehr unwahrscheinlich.»
Anders sieht dies Balkan-Experte Clewing. Er sagt klar: «Eine Eskalation wird zur realen Gefahr.» Zu den Waffen greifen könnten serbische Kräfte, vielleicht sogar die Armee und die Polizei Serbiens, mit Einheiten der kosovarischen Polizei im Nordkosovo. Denn die Truppen der Nato-Friedensmission Kfor seien scheinbar unschlüssig, wie energisch sie gegen die Blockaden im Nordkosovo vorgehen sollen. (tva)