Darum gehts
- Roche zieht ein Krebsmedikament zurück. BAG und Roche sind sich uneinig über Preis.
- Dank Lunsumio hat man grosse Fortschritte bei der Behandlung follikulärer Lymphome erzielt.
- Die Schweiz rangiert beim Medikamentenzugang auf Platz sieben in Europa, die Wartezeit beträgt 278 Tage.
Streit zwischen Roche und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG): Ende Juni nahm der Basler Pharmakonzern ein Medikament gegen eine seltene Form von Blutkrebs von der Spezialitätenliste. Der Grund für den drastischen Schritt: Roche konnte sich nicht mit dem BAG auf einen Preis einigen. Nun wird die Therapie nicht mehr von den Krankenkassen vergütet – bei einem potenziell lebensrettenden Medikament ist das ein Vorgang, der in der Schweiz seinesgleichen sucht.
Dem Rückzug waren monatelange Verhandlungen vorangegangen. Sie seien daran gescheitert, dass das BAG auf einem Preisnachlass von 50 bis 60 Prozent des Fabrikabgabepreises bestanden habe, verlautet aus Branchenkreisen.
Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
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Konkret: Statt für 100’000 Franken hätte Roche das Medikament nach den Vorstellungen des BAG für 50’000 bis 60’000 Franken abgeben sollen, deutlich günstiger als etwa in Deutschland. Der Betrag bezieht sich auf einen Zyklus von acht Behandlungen. Bei 80 Prozent der Patientinnen und Patientinnen führt bereits ein Zyklus zum Erfolg, bei 20 Prozent sind bis zu zehn Zyklen notwendig.
Roche offerierte hohe zweistellige Rabatte
Das Bundesamt für Gesundheit macht auf Anfrage keine Angaben dazu, welchen Preis für das Krebsmittel es für angemessen hält. Es sei aber bereit gewesen, «Roche entgegenzukommen und Lunsumio weiter vergüten zu lassen».
In Branchenkreisen ist davon die Rede, dass der Pharmakonzern Rabatte in hoher zweistelliger Höhe offeriert habe. Roche selbst spricht von einem «Entgegenkommen unsererseits in Form von hohen Rabatten». Trotzdem sei eine Einigung auf eine Vergütung des Medikaments «entsprechend seinem medizinischen Nutzen» nicht möglich gewesen, schreibt der Pharmakonzern auf Anfrage.
Als weiteren Grund für das Scheitern der Verhandlungen erklärt das BAG, dass eine ordentliche, definitive Zulassung durch Swissmedic «mangels zusätzlicher Evidenz, entgegen der Erwartungen und Ankündigungen von Roche zu Beginn des Jahres» bislang nicht erfolgt sei.
Dazu muss man wissen: Lunsumio wurde von Swissmedic auf der Basis klinischer Daten der ersten und zweiten Studie zugelassen und nicht wie üblich auf Basis einer klinischen Studie der dritten Phase mit mehr Patienten und Patientinnen – weil die frühen Daten so vielversprechend waren. Die Studie für die dritte klinische Phase läuft zurzeit noch, Roche ist also daran, die Voraussetzungen für eine ordentliche Zulassung zu schaffen.
«Die Haltung des BAG ist für uns nicht nachvollziehbar», schreibt Roche dazu. Das Medikament habe «vollständige Ansprechraten» und «eine anhaltende Wirkung über mindestens 18 Monate bei einer Mehrheit der Patienten und Patientinnen gezeigt – sowie eine gute Verträglichkeit».
Klar ist, dass Lunsumio bei der Behandlung follikulärer Lymphome grosse Fortschritte gebracht hat. Das Medikament ist ein sogenannter bispezifischer monokolonaler Antikörper. Das heisst, es setzt beim Immunsystem an zwei Stellen an, was bei der Bekämpfung von Krebs eine entscheidende Rolle spielt. Es handelt sich um eine Technologie, bei der Roche führend ist und von der man sich gerade bei der Behandlung von Blutkrebs viel verspricht.
Es geht aktuell erst um wenige Patienten
Im konkreten Fall geht es um zwei Dutzend Patientinnen und Patienten pro Jahr, follikuläre Lymphome sind eher selten. Zudem wird das Medikament momentan erst als sogenannte Drittlinientherapie eingesetzt. Der Behandlung mit Lunsumio müssen also zwei erfolglose Behandlungen mit anderen Medikamenten vorangegangen sein.
Entsprechend gering sind die Umsätze, die Roche mit dem Mittel macht. Weltweit lagen sie im ersten Quartal bei 21 Millionen Franken, für die Schweiz ist von Verkäufen im Umfang von mehreren hunderttausend Franken auszugehen.
Bei Pharmaumsätzen von rund 46 Milliarden Franken ist Lunsumio deshalb ein kleiner Fisch im Portfolio. Zu einem Milliardenprojekt dürfte das Medikament werden, wenn es auch für Erst- und Zweitbehandlungen zugelassen wird. Doch das wird noch eine Weile dauern, die entsprechenden Studien laufen erst.
Die unmittelbaren Auswirkungen des Rückzugs halten sich deshalb in Grenzen, zumal der Pharmakonzern die Kosten für Lunsumio bis auf weiteres übernimmt. Zu Therapieabbrüchen wird es deshalb nicht kommen, zudem werden Patienten und Patientinnen, die für eine Behandlung mit dem Medikament infrage kommen, dieses auch weiterhin erhalten. Roche gehört zu einer kleinen Gruppe von Pharmafirmen, die sich im Rahmen des Swiss Access Programs dazu verpflichtet haben, medizinisch dringend notwendige Behandlungen zu finanzieren, wenn alle anderen Vergütungsmechanismen nicht greifen.
Early Access in Gefahr?
Doch der Eklat zwischen Bern und Basel geht tiefer. Lunsumio wurde als Pilotprojekt im Rahmen eines Early-Access-Verfahrens auf Initiative der Basler zur Zulassung durch die Swissmedic gebracht und in die Spezialitätenliste aufgenommen. Und das bereits Anfang 2023, also bevor das Verfahren in der Verordnung über die Krankenversicherung und in der Krankenpflege-Leistungsverordnung aufgenommen wurde.
Ziel des Modells ist es, Medikamente mit grossem therapeutischen Nutzen und medizinischen Bedarf vorzeitig zuzulassen und vergüten zu lassen. Man sei dafür bereit gewesen, «substanzielle Abschläge bei der Vergütung hinzunehmen», schreibt Roche. Zu befürchten ist deshalb, dass das Fiasko um Lunsumio andere Pharmafirmen davon abhalten wird, Zulassungen im Rahmen des Early-Access-Verfahrens zu beantragen.
Schweiz im Hintertreffen
Das Early-Access-Verfahren sollte das Problem lösen, dass Patientinnen und Patienten in der Schweiz immer länger auf vielversprechende neue Therapien warten müssen. Entweder weil die Medikamente nicht von den Krankenkassen vergütet werden. Oder weil sie, wie im Fall Lunsumio, wieder aus der Spezialitätenliste fielen. Hauptursache ist meistens, dass sich Pharmafirmen und das Bundesamt für Gesundheit nicht auf einen Preis einigen können, zu dem die Kassen das neue Mittel vergüten müssen.
Betrachtet man die Zeit, die zwischen der Marktzulassung durch Swissmedic und der faktischen Verfügbarkeit für Patientinnen und Patienten durch die Festlegung eines Vergütungspreises durch das BAG vergeht («time to access»), rangiert die Schweiz mit ihrem mittlerweile mehr als 100 Milliarden Franken teuren Gesundheitswesen auf Platz sieben in Europa, knapp vor Bulgarien.
Selbst der britische National Health Service ist besser
278 Tage verstreichen, bis ein neues Krebsmedikament den Schweizer Patientinnen und Patientinnen faktisch zur Verfügung steht. Bei innovativen Medikamenten, die oft in lebensbedrohlichen Situationen zum Einsatz kommen, entspricht das nicht dem, was man sich von einem Gesundheitswesen wie dem schweizerischen wünscht. Zumal es kostenmässig in der Kategorie Rolls-Royce spielt. Selbst der vielgescholtene britische National Health Service (NHS) kriegt das besser hin. Am besten steht Deutschland mit 45 Tagen da.
Besonders beunruhigend ist die Situation bei den seltenen Krankheiten. Hier sind in der Schweiz gerade einmal 32 Prozent aller in der EU zugelassenen Therapien zugänglich, in Deutschland sind es 89 und in Italien 71 Prozent. Für die Betroffenen, die oft mit schwersten gesundheitlichen Problemen kämpfen, ist das ein Drama.