Darum gehts
Die Schweiz braucht dringend mehr Platz zum Wohnen. So viel ist klar. Auch wo zusätzlicher Wohnraum geschaffen werden soll, wurde 2013 vom Volk entschieden: Die Schweiz soll nach innen verdichten, nicht zersiedeln. Doch bei der Umsetzung hapert es gewaltig.
Schweizerinnen und Schweizer finden Verdichten in der Theorie zwar gut – aber nur, solange es nicht vor der eigenen Haustür ist. Peter Salzmann (60) sieht das anders. Er hat keinen Dichtestress. Mit seinem Bauprojekt will er anderen zeigen, was heute vielerorts möglich ist.
Zusammen mit seiner Frau Claudia (60) bewohnt er ein 100-jähriges Haus mit viel Umschwung und einem kleinen Rebberg in Starrkirch-Wil SO. «Wir haben so viel Platz. Den wollen wir anderen zugänglich machen», sagt Salzmann. Es sei ihm ein wichtiges Anliegen, dass die Schweiz verdichtet.
Mehr Wohnraum für andere
Wohnraum wird in der Schweiz immer knapper, und immer mehr Leute können sich Wohneigentum nicht mehr leisten. «Bei uns im Mittelland ist es zwar noch nicht ganz so schlimm wie in Zürich oder in anderen Städten», sagt Salzmann. «Wir wollen trotzdem dazu beitragen, das Problem zu lösen.»
Er und seine Frau bereiten sich auf das Leben nach der Pensionierung vor. «Wir haben uns gefragt, ob es richtig ist, so zu leben», sagt Salzmann. Das Ehepaar lebt mit der Hündin Xavia in einem Einfamilienhaus mit einem grossen Garten. Insgesamt sind es 1300 Quadratmeter Land. «Bis jetzt haben wir den grossen Garten sehr genossen», so der 60-Jährige. Aber mit dem Alter kam das Bedürfnis nach Rückzug – weniger Wohnraum und weniger Umschwung. Die Salzmanns fragten sich, was sie mit ihrem Haus und dem Bauland machen könnten.
Agentur berechnet Verdichtungspotenzial
Salzmann wandte sich dann an das Architektenbüro «Die Raumpioniere». Deren Mitgründer und Architekt Atilla Färber (48) ist auf Verdichtung spezialisiert. Das Büro hat eine Software entwickelt, die das Verdichtungspotenzial für einzelne Projekte oder ganze Städte berechnen soll.
«Unsere Mission ist es, private Eigenheimbesitzer aufzuklären und Verdichtung populär zu machen», sagt Färber. In der Schweiz gibt es rund 1,1 Millionen Einfamilienhäuser. Etwa 450’000 davon gehören der Generation der Boomer. Die meisten davon leben in Ein- bis Zwei-Personen-Haushalten. Das heisst: Viele Zimmer stehen leer.
So viel Wohnraum schafft Verdichtung
Die Software der Raumpioniere kann Liegenschaftsbesitzern Auskunft darüber geben, ob und in welchem Umfang sich ein Ausbau lohnen würde. Sie berücksichtigt wichtige Faktoren wie Bauzone, Nutzungsgrad und Bebauungspotenzial der Liegenschaft. Auch Alter und Zustand der Gebäude wird berücksichtigt.
Liegenschaften mit Potenzial sind demnach älter als 50 Jahre, stehen auf einer nicht optimal ausgenutzten Bauparzelle in einer Wohn-, Misch- und Zentrumszone. Nach diesen Kriterien könnten in Ein- und Mehrfamilienhäusern in Winterthur ZH beispielsweise Wohnraum für 10'300 zusätzliche Anwohnerinnen und Anwohner geschaffen werden. In der Stadt Zug sind es mit 1400 deutlich weniger.
In der Agglomeration von St. Gallen könnte laut dem Unternehmen Raumpioniere Wohnraum für 4500 Menschen zusätzlich geschaffen werden. Und in der ländlichen Region von Schaffhausen würde der Ausbau von Ein- und Mehrfamilienhäusern Wohnraum für weitere 2000 Menschen bringen, rechnet Färber vor.
Eigenheimbesitzer aufklären
«Wir wollen unser Know-how Eigenheimbesitzern zugänglich machen», sagt Färber. Interessierte Haushalte können auf der Website der Raumpioniere ihr Verdichtungspotenzial berechnen lassen. Der Dienst ist gratis.
Die Salzmanns liessen sich von den Raumpionieren eine Machbarkeitsstudie erstellen. Das Ergebnis überzeugte sie. Im nächsten Schritt wurden die Baupläne konkret. Weil sie das Projekt nicht selbst umsetzen wollten, hat das Ehepaar das Grundstück an die Raumpioniere verkauft. Über die finanziellen Details möchte das Ehepaar nicht sprechen.
Das sanierte und modernisierte Haus der Salzmanns soll bestehen bleiben. Dort, wo heute der Garten ist, bauen die Raumpioniere ein Doppeleinfamilienhaus mit je 4½ Zimmern. Dort, wo sich bis vor kurzem auf 400 Quadratmetern noch der Rebberg befand, soll ein weiteres, kleineres Eigenheim für die Salzmanns entstehen. Im November geht der Umbau los.
«So kommen wir nicht weiter»
Salzmann ist das Dilemma, vor dem viele Eigenheimbesitzer stehen, bewusst. Das Ehepaar muss sich von seinem Zuhause der letzten 20 Jahre verabschieden. «Man muss loslassen können, das wird oft unterschätzt», sagt er.
Mit der Auflösung des Rebbergs gehe ein Lebensabschnitt zu Ende. Das sei auch emotional eine Herausforderung, so der 60-Jährige. «Von Verdichtung reden ist einfach, aber das dann umzusetzen, ist es für viele nicht.»