Darum gehts
Die Morgensonne spiegelt sich in den Wänden der Industriehallen: Es ist Montag, kurz nach 7 Uhr, in den Pilatus Flugzeugwerken in Stans NW erwacht das Leben. Autos fahren auf den bereits gut gefüllten Parkplatz. Regelmässig entlädt ein Regionalbus einen Schwall Angestellte vor dem Firmengelände. Beim Check-in melden sich externe Handwerker an. Alles sieht nach einem völlig normalen Arbeitstag beim grössten und wichtigsten Arbeitgeber im kleinen Kanton Nidwalden aus. Doch der Schein trügt.
Die Hiobsbotschaft kam am letzten Donnerstag: Die Schweizer Regierung scheiterte. Der Zollhammer von US-Präsident Donald Trump (79) sauste auf die Schweiz nieder. Exportiert Pilatus ihre beliebten Flugzeugtypen wie den PC-12, PC-21, PC-24 aus dem Stanser Werk in die USA, fällt nun ein Zollsatz 39 Prozent an. Bereits am Freitag groundete Pilatus das US-Geschäft – vorübergehend. Der Flugzeugbauer macht fast die Hälfte von gut 1,6 Milliarden Franken Umsatz in den USA. Das führt dazu, dass Nidwalden mit Abstand den höchsten US-Exportanteil aller Kantone hat. Nach dem steilen Höhenflug der letzten Jahre drohen Pilatus nun erhebliche Turbulenzen.
«Man ist völlig machtlos»
Die Stimmung in der Belegschaft schwankt von einigermassen entspannt über kämpferisch bis besorgt. Das zeigen Gespräche mit Angestellten vor Ort. «Ich bin Temporär-Angestellter. Sobald wir weniger Arbeit haben, sind wir die Ersten, die gehen müssen», sagt einer aus der Logistik.
Ein Lackierer meint, man müsse sich mehr auf den asiatischen Markt konzentrieren. «Den hat man ein wenig vernachlässigt. Allenfalls wird man auch Kurzarbeit einführen müssen.» Die Geschäftsleitung werde schon Lösungen finden, meint der Nächste und läuft weiter. Seinen Namen in den Medien lesen, will keiner.
Der unberechenbare US-Präsident hat seinen Kredit in Nidwalden jedenfalls verspielt. «Man ist in diesem Zollkonflikt völlig machtlos. Wir können ja nicht in die USA fliegen und selbst verhandeln», sagt ein Angestellter aus der Planung. «Das Unternehmen hat sich jedoch auf dieses Szenario vorbereitet», ergänzt er. Unter den knapp 3000 Angestellten in Stans gibt es dennoch viele offene Fragen.
Dorfthema Nummer 1
In Nidwalden gehört es zum Alltag, dass regelmässig Pilatus-Maschinen über die Köpfe der Bevölkerung hinwegfliegen, die auf dem Werkflugplatz Buochs starten. Jeder hat Kollegen oder Verwandte, die beim Flugzeugbauer arbeiten. Man ist stolz auf die hohe Schweizer Ingenieurskunst, mit der man die grosse internationale Konkurrenz oft überflügelt. Darum sind die US-Zölle und die Abhängigkeit von den USA bei den über 8000 Einwohnern von Stans das Thema der Stunde: Sei es auf der Gartenterrasse des Gasthauses Linde auf dem Dorfplatz oder an den Tischen im Restaurant Melachere in der Schmiedegasse.
Fritz Bärtschi (77) kennt selbst viele Pilatus-Angestellte. «Die Situation für die Mitarbeiter ist schwierig», sagt der Rentner. 38 Jahre lang entwickelte er als Flugzeugmechaniker Prototypen für Pilatus mit. «Die Firma hat in Stans Wahnsinniges aufgebaut. Unsere Regierung muss unbedingt einen besseren Deal verhandeln», sagt er.
Sepp Bircher (55) trägt in Stans die Post aus. «Pilatus ist der grösste Arbeitgeber in der Region. Die aktuelle Situation bereitet schon Sorgen. Hoffentlich gibt es bald eine Lösung», sagt er und fährt weiter.
«Wir sind in der Region alle voneinander abhängig»
Auch für Albrecht Schneider (78) sind die Pilatus-Flieger unzertrennlich mit dem Ort verbunden. «Nachdem das Militär Stellen abgebaut hat, sind die Leute vor allem wegen Pilatus nach Nidwalden gekommen.» Allein in den letzten Jahren hat der Flugzeugbauer in Stans mehrere Hundert neue Arbeitsplätze geschaffen. Davon profitieren Restaurants, Geschäfte, Hotels und das Gewerbe.
Die Angestellten brauchen auch Kinderbetreuungsangebote. Jenis Alaj (30) hat deshalb vor zwei Jahren die Kita Flöckli eröffnet. «Die Entwicklung bei Pilatus hat die Nachfrage nach Kita-Plätzen erhöht. Wir sind in der Region alle voneinander abhängig», sagt sie.
Der Erfolg von Pilatus hat zu einem Klumpenrisiko geführt, das im Kanton Sorgen bereitet. «Der Kanton Nidwalden ist bei den US-Zöllen mit den Pilatus Flugzeugwerken stark exponiert. Aber die Zölle sind für die ganze Schweiz sehr schädlich», sagt der Nidwaldner Volkswirtschaftsdirektor Othmar Filliger (60). Pilatus sei sehr wichtig. «Aber wir haben in unserem Kanton eine breite und gut diversifizierte KMU-Landschaft», ergänzt er.
Volle Auftragsbücher – weiterhin grosse Pläne?
Droht bei Pilatus nach dem Höhenflug nun der Absturz? Das Unternehmen verweist auf Anfrage auf die hohe Auslastung in Stans sowie die solide finanzielle Basis und gut gefüllte Auftragsbücher. So liegt im Hauptwerk der Fokus nun auf Aufträgen aus anderen Ländern. Kurzarbeit sei derzeit kein Thema. Die Auftragsbestände ohne US-Geschäft liegen bei rund zwei Milliarden Franken.
Die Aufträge aus den USA belaufen sich auf eine weitere Milliarde Franken. Pilatus will das Endmontage-Werk in Broomfield im US-Bundesstaat Colorado rasch ausbauen. An den jüngst verkündeten grossen Investitionen am Standort in Stans soll das jedoch nichts ändern. Pilatus plant, in den nächsten zehn Jahren fast eine halbe Milliarde in Modernisierung und Ausbau zu stecken.
Das nährt in Nidwalden die Hoffnung, dass die Sonne noch ganz lange auf Pilatus scheint.