Darum gehts
- MS Direct soll Mitarbeitende nach Deutschland für Arbeit in dortigen Retourenzentren entsandt haben
- Laut Mitarbeitenden geschah dies ohne erforderliche Meldungen bei den deutschen Behörden
- Rund 40 Personen seien mehrfach für längere Zeiträume nach Deutschland geschickt worden
- MS Direct widerspricht den Vorwürfen, führt aber Untersuchungen durch
Reicht das nicht? Erst vergangene Woche deckte Blick auf, wie der Zalando-Partner für Retouren, MS Direct in Arbon TG, mit Rücksendungen umgeht. Neuprodukte im Millionen-Wert werden bei der Rückkehr ins Retourenzentrum einfach vernichtet. Doch damit nicht genug.
Neue Vorwürfe gegen den Zalando-Partner werden laut. Diese drehen sich um die mutmasslich illegale Entsendung und Beschäftigung von Schweizer Mitarbeitenden nach und in Deutschland, wie Blick erfahren hat. Tatjana S.* berichtet der Redaktion anonym und stellvertretend für Dutzende weitere MS-Direct-Angestellte in der Schweiz, warum die Vorwürfe nun laut werden. Sie arbeitet noch immer für das Unternehmen.
Seit der Eröffnung der neuen Logistikzentren in Mindelheim und Kaufbeuren in Deutschland seien zahlreiche Mitarbeitende – darunter sie selbst und rund 40 weitere Kolleginnen und Kollegen – mehrfach und über längere Zeiträume hinweg nach Deutschland entsandt worden. «An diesen Standorten der Firma in Bayern haben wir für das Unternehmen Bergzeit aushelfen müssen.»
Der Haken an der Sache gemäss S.: «Viele von uns verfügten nicht über die notwendigen Entsende-Unterlagen und arbeiteten ohne die erforderlichen Meldungen bei den deutschen Behörden».
Entsendung zieht Pflichten nach sich
Eine «Entsendung» ist arbeitsrechtlich festgelegt. Sie bedeutet, dass ein Arbeitgeber seine Arbeitnehmer vorübergehend zur Arbeitsleistung ins Ausland schickt, ohne dass das ursprüngliche Arbeitsverhältnis beendet wird. Das ist nur dann zulässig, wenn der Arbeitgeber die gesetzlichen Vorgaben einhält.
Zum Dienst im Ausland entsandt wurden laut S. Mitarbeitende mit verschiedenen Schweizer Aufenthaltsbewilligungen: Personen aus Drittstaaten wie Kosovo, Serbien oder Türkei, EU-Bürger mit einem Arbeitsvertrag in der Schweiz und sogar Personen mit Status S – also Flüchtlinge.
Retouren-Mitarbeiterin S.: «Unsere Firma sagte nicht, dass wir uns damit strafbar machen könnten.» Nachfragen bei der HR-Abteilung hätten zu Antworten geführt wie das sei doch eine Chance, «Stunden zu machen». Und wenn man nicht gehe, würde jemand einspringen, hiess es im HR laut S.
Tragen die Entsandten alle Risiken?
Kaufbeuren und das benachbarte Mindelheim liegen im deutschen Bundesstaat Bayern, von Arbon am Bodensee aus in rund 1,5 Autostunden erreichbar. S. erzählt, wie die Mitarbeitenden jeweils in Privatwagen über die Grenze fahren. Wegen der langen Hin- und Rückfahrt dauern die Arbeitstage oft 13 bis 14 Stunden. «Manchmal bleiben wir aber auch vor Ort im Hotel, auf Kosten des Arbeitgebers», so die Mitarbeiterin.
Treffen die Aussagen von S. zu, wirft das Fragen auf. Wer Arbeitnehmende ohne A1-Bescheinigung entsendet, verstösst gegen das Sozialversicherungsrecht. Die Bescheinigung ist für Arbeitseinsätze in einem anderen EU-Staat zwingend notwendig. Dazu gibt es eine Meldepflicht für grenzüberschreitende Arbeitnehmende in Deutschland. Ansonsten wäre das ein Verstoss gegen das deutsche Aufenthalts- und Arbeitsrecht.
Und: Ohne Meldung wäre keine rechtliche Absicherung vorhanden. Die entsandten Mitarbeitenden tragen ohne Bescheinigung ein persönliches Risiko, beispielsweise bei einem Unfall.
MS Direct widerspricht Vorwürfen
Blick hakt bei Zalando-Partner MS Direct nach. «Wir legen grossen Wert auf die Einhaltung aller rechtlichen Vorgaben, auch im Bereich Sozialversicherung und Mitarbeitendenschutz», sagt eine Sprecherin. Das habe auch für die «kurzen Einsätze von Mitarbeitenden aus der Schweiz im Retourenzentrum im deutschen Mindelheim» gegolten.
Bei diesen Einsätzen seien Löhne und Spesen vollständig in der Schweiz ausbezahlt, Sozialversicherungsbeiträge abgeführt und geleistete Arbeitszeit korrekt erfasst und vergütet worden. Das A1-Formular sei ausgefüllt worden.
Behörden untersuchen Entsendungen
Die betroffenen Angestellten berichten Gegenteiliges. «Ich habe nie ein Formular ausgefüllt oder etwas unterschrieben, ebenso wenig meine Kolleginnen, die heute zum Teil gar nicht mehr bei MS Direct arbeiten», versichert S. stellvertretend.
Im Hintergrund laufen Untersuchungen, wie Blick von Behörden erfährt. Sie sind offenbar im Bild dieser Vorgänge beim Zalando-Partner MS Direct in der Schweiz. Zu ihnen gehört Guido Fischer, Leiter des Thurgauer Arbeitsinspektorats. Sein Amt habe MS Direct «auf dem Radar», wie Fischer sagt. Im vorliegenden Fall seien allerdings die deutschen Behörden zuständig. Eine Blick-Anfrage beim Landratsamt Unterallgäu bleibt bislang unbeantwortet.
* Name geändert