Hüttenwartin Christine Stalder lebt und arbeitet auf 1955 Metern
«Wir haben Parkplätze, nur leider keine Strassen dazu»

Kein Luxus, keine Dusche, keine Privatsphäre – aber eine Toilette mit Herz und Kuchen aus dem Holzofen: Christine Stalder führt die Lobhornhütte im Berner Oberland – mit Charme, Muskelkraft und einem Augenzwinkern.
Publiziert: 05.08.2025 um 18:35 Uhr
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Hüttenwartin Christine Stalder spricht mit der «Schweizer Illustrierten» über ihren Alltag.
Foto: Kurt Reichenbach

Darum gehts

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Silvana Degonda
Schweizer Illustrierte

Eiger, Mönch und Jungfrau thronen direkt vor der Nase. Doch Zeit, die Aussicht zu geniessen, hat Christine Stalder (38) selten. Sie flitzt zwischen Küche und Terrasse hin und her, serviert Kaffee, Tee und Kuchen zum Panorama. Gemeinsam mit ihrem Team schmeisst die gmögige Bernerin die Lobhornhütte auf 1955 Metern über Meer.

Die Schichten sind lang, die Luft ist dünn, die Erholung kurz. In den vergangenen Monaten häuften sich Medienberichte über respektlose Hüttengäste – und erschöpfte Hüttenwartinnen, die das Handtuch werfen. Kein freier Tag, keine Dusche, keine Privatsphäre. Ist die Lage in den Bergen denn wirklich so schlimm?

Christine Stalder, was war der skurrilste Wunsch, den ein Gast je hatte?
Da gibt es immer wieder Situationen, bei denen ich lachen muss. Letzten Monat rief jemand an und fragte: ‹Haben Sie noch freie Parkplätze?› Ich antwortete: ‹Ja, habe ich – aber leider keine Strasse dazu.› Viele Menschen wissen gar nicht, was eine SAC-Hütte überhaupt bedeutet.

Artikel aus der «Schweizer Illustrierten»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.

Werden die Erwartungen darum immer grösser?
Unsere Hütte ist von der Infrastruktur her sehr einfach und rustikal. Entsprechend sind auch die Erwartungen oft bescheiden. Aber klar: Die Gäste freuen sich, wenn sie zwischen mehreren Kuchen auswählen können, und trinken ihr Bier lieber aus der Flasche als aus der Büchse. Auch eine kleine Speisekarte mit verschiedenen Menüs wird erwartet. Beschwerden über fehlenden Luxus sind aber selten. Die Leute mögen es, dass es bei uns noch urchig zugeht.

Auch das Plumpsklo ist kein Problem?
Nicht für alle. Aber das Herzchen an der Tür rettet wirklich vieles (lacht).

Die Bernerin ist im vierten Jahr als Hüttenwartin der auch im Winter offenen Lobhornhütte im Lauterbrunnental im Einsatz. «Es ist ein wunderbarer Job.» Sie wohnt teils in der Hütte, teils in Ringgenberg BE und arbeitet nebenbei auch als Floristin in einem Fünfsternehotel in Gstaad BE.
Foto: Kurt Reichenbach

Wie duscht man bei Ihnen?
Gar nicht, wir haben keine Dusche. Es gibt fliessendes kaltes Bergwasser bei unserem Open-Air-Waschtrog oder den wunderbaren Sulssee nicht weit von der Hütte.

Wie sind die Schlafzimmer organisiert?
Wir haben ein Zehnerzimmer und zwei Siebnerzimmer – klassische Massenschläge. Die Bettwäsche können wir nicht regelmässig waschen, da es keine Waschmaschine hat. Alles wird per Helikopter ins Tal und zurück transportiert. Der Aufwand ist riesig. Die Bettwäsche waschen wir zweimal pro Saison – es sei denn, sie ist stark verschmutzt. Deshalb verlangen wir von unseren Gästen, dass sie in einem Hüttenschlafsack übernachten. Aber wir bekommen stets Anfragen für Doppelzimmer. Viele wünschen sich mehr Privatsphäre – gerade Gäste, die sich nicht auskennen und einfach ein Hüttenerlebnis suchen.

Wie kaufen Sie ein?
Etwa einmal pro Woche kommt der Helikopter. Praktisch ist, dass ich die Helisäcke nicht selbst im Tal befüllen muss. Die Flugfirma lädt alles, und ich nehme hier oben die Lieferung entgegen. Alle zwei Wochen nehmen sie den vollen WC-Tank mit nach unten – jeweils circa 850 Kilo.

Was bestellen Sie hauptsächlich?
Wir haben kein Trinkwasser und keine Wasseraufbereitung – also müssen auch Wasser, Bier und Süssgetränke eingeflogen werden. Dazu kommt das Essen, Diesel für die Notstromgruppe, WC-Papier – einfach alles, was im Tal selbstverständlich ist. Ich muss immer frühzeitig überlegen, was bald ausgehen könnte – sonst ist es zu spät.

«Die Küche ist wirklich winzig.» Hier bewirtschaften Christine Stalder und ihr Team jedes Jahr 3000 Gäste.
Foto: Kurt Reichenbach

Wie funktioniert die Stromversorgung?
Wir haben ein Notstromaggregat und eine kleine Solaranlage auf dem Dach. Wenn es länger schlechtes Wetter ist, wird es kritisch. Wir haben zwei Kühlschränke, eine Gefriertruhe und zwölf Batterien. Abends von fünf bis zehn Uhr morgens ist der Stromverbrauch am grössten – das Licht brennt, und alle wollen gleichzeitig ihre Handys und Geräte laden. Das ist dann nicht möglich, sonst reicht es nicht. Wenn der Helikopter mit neuer Ware kommt, brauchen die Gefriertruhe und der Kühlschrank viel mehr Strom, weil alles neu gekühlt werden muss.

Gab es auch besonders berührende Begegnungen in der Hütte?
Einmal kam eine Gruppe mit einer Person im Rollstuhl. Zum 50. Geburtstag hatte man ihr einen Besuch bei uns geschenkt. Dank einem alpinen Spezialrollstuhl konnte sie tatsächlich hierherkommen. Das war ein sehr schöner Moment – für sie und auch für uns.

Was muss man mitbringen, um bei Ihnen in der Hütte zurechtzukommen?
Man muss die Ruhe mögen und bereit sein, auf Komfort zu verzichten. Wer hierherkommt, sucht etwas anderes als das, was die Stadt bietet: keine Dusche, keine Privatsphäre – dafür Natur, Stille und klare Bergluft.

Was nervt Sie an den Gästen?
Vor allem die vielen E-Mails mit Fragen, deren Antworten auf der Website stehen würden. In einer Zeit, in der man alles mit künstlicher Intelligenz erfragen kann, erwarten viele sofortige, individuelle Antworten. Das ist extrem zeitintensiv, besonders in einem ohnehin dichten Alltag.

174'726 Mitglieder hat das Schweizer Alpen-Club (SAC), gegründet wurde er 1863 im Bahnhofbuffet in Olten.
Foto: Kurt Reichenbach

Wie sieht ein typischer Tag bei Ihnen aus?
Ich stehe um 6.15 Uhr auf. Dann wird geheizt – wir kochen auf dem Holzherd. Kaffee gibts erst, wenn das Feuer brennt und die Platte heiss ist, auch das verstehen einige Gäste nicht. Dann backen wir Kuchen – meist sechs bis zehn pro Tag. Wir machen Betten, putzen. Um halb elf essen wir zu Mittag. Danach kommen die Tagesgäste, später wird für die Übernachtungsgäste gekocht, wir braten Fleisch an oder bereiten eine Suppe vor. Wir haben 24 Betten – das ist eine überschaubare Anzahl. Gegen halb elf abends gehen wir ins Bett.

Ihr Team besteht nur aus Frauen – Zufall?
Im Moment ja. Wir sind drei bis vier Festangestellte und ein bis zwei Aushilfen. In der Hochsaison braucht es mehr Leute, das sind dann auch oft Männer.

Wie viele freie Tage haben Sie?
In der Saison bin ich fast ständig hier oben – ich bin Pächterin, also selbst verantwortlich für meinen Arbeitsplan. Dafür nehme ich mir im November, Dezember und Frühling Zeit, Überzeit abzubauen. Wenn wenig läuft, gönne ich mir auch mal eine Pause am Nachmittag. Die Work-Life-Balance ist anders als im Tal – aber ich finde Wege, damit es für mich stimmt.

Wie?
Wenn es ruhig ist, mache ich bewusst wenig. Ich lese, häkle oder arbeite im Büro. Oder ich lasse einfach mal die Seele baumeln – das ist wichtig, um Kraft zu schöpfen.

Ist es schwierig, Personal zu finden?
Ja – aber nicht, weil niemand will, sondern weil viele sich nicht vorstellen können, wie eng es hier oben ist. In den Personalzimmern ist kaum Platz, man schläft zu dritt in einem Zimmer – ohne sich am Anfang zu kennen. Wer da nicht belastbar ist, hält nicht lange durch.

Wird Ihr Beruf manchmal romantisiert?
Absolut. Ich habe auch schon gehört, das sei entschleunigend. Da kann ich nur lachen. Es ist ein Knochenjob. Wir sind den ganzen Tag auf den Beinen, tragen schwere Lasten. Wenn der Helikopter 850 Kilo bringt, muss das alles verräumt werden. Im Winter ist es noch härter – da holen wir 300 Meter entfernt Wasser, mit Kanistern auf einem Schlitten. Die Zimmer sind ungeheizt, wir schaufeln viel Schnee.

Die Lobhornhütte wurde 1950 gebaut und hat 24 Schlafplätze. Der einfachste Aufstieg führt ab Isenfluh mit der Luftseilbahn nach Sulwald, dann 90 Minuten Fussmarsch zur Hütte.
Foto: Kurt Reichenbach

Ihre Eltern haben 19 Jahre eine SAC-Hütte geführt. Für Sie also nichts Neues?
Nicht ganz. Ich war in der siebten Klasse, als meine Eltern angefangen haben. In den Ferien habe ich geholfen – gekocht, mitgedacht, mitangepackt. Es war eine intensive, schöne Zeit, aber keine klassische Hüttenkindheit.

Wie legen Sie die Preise fest?
Die Übernachtungspreise werden vom SAC Lauterbrunnen vorgegeben. Bei Speisen und Getränken orientiere ich mich am Markt. Es muss wirtschaftlich stimmen. Lebensmittelverschwendung können wir uns nicht leisten.

Spüren Sie finanziellen Druck, wenn das Wetter schlecht oder die Saison kurz ist?
Weniger als andere. Wir sind keine hochalpine Hütte – man kann auch bei Regen herkommen. Klar, bei schlechtem Wetter haben wir weniger Tagesgäste, aber die Übernachtungen bleiben stabil. Ich weiss zu Saisonbeginn, welche Lohnsumme ich brauche – das hilft bei der Planung.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Was sollte Ihre Hütte unbedingt bekommen?
Einen Steamer! Wir backen täglich bis zu zehn Kuchen im Holzofen. Immer zwei gleichzeitig und nie gleichmässig. Wir investieren viel Zeit, Geduld und Liebe. Ein Steamer würde uns sehr helfen. Aber ich habe schon alles ausgemessen – in unserer zwei auf drei Meter grossen Küche hat es einfach keinen Platz dafür.

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