Darum gehts
- Heilsarmee kündigt 30 Mietparteien in Geroldswil ZH
- Wohnungen für Menschen in schwierigen Lebenslagen werden abgerissen
- Die Leerkündigung trifft die Schwachen unserer Gesellschaft
Es ist ein Brief, der das Leben dieser Einwohnerinnen und Einwohner in Geroldswil ZH auf den Kopf gestellt hat: Ende Oktober 2024 erhielten 30 Mietparteien aus vier Wohnblöcken im Quartier Fahrweid die Kündigung. Alle Anwohner müssen bis Ende Februar 2026 raus – für immer.
Eine solche sogenannte Leerkündigung dürfte viele aus der Bahn werfen. Dieses Mal trifft es diejenigen, die am unteren Rand der Gesellschaft leben. Denn die betroffene Wohnsiedlung gehört der christlichen Hilfsorganisation Heilsarmee. Sie ist die grösste Anbieterin sozialer Einrichtungen in der Schweiz. Und hat neben Werkstätten für Beeinträchtigte in der Deutsch- und Westschweiz verschiedene Wohnangebote für Menschen in schwierigen Lebenslagen.
«Es war ein Schock»
Wie sehr der Kündigungsschock den Betroffenen in Fahrweid in die Knochen fuhr, konnte Blick vor Ort erfahren. «Es ist für mich ein enormer Stress», sagt Leandro Sarkany* (49). «Eine Wohnung zu finden, die für mich bezahlbar ist, wird wahnsinnig schwierig.» Sarkany ist derzeit arbeitslos und lebt seit fünf Jahren in einem der Wohnblöcke. «Wenns ganz dumm kommt und ich bis im Februar 2026 nichts finde, heisst die Endstation für mich Campingplatz», sagt Sarkany stellvertretend für andere Mieter.
«Es war ein Schock, als die Leerkündigung kam», sagt Hermann Müller (85). Der Rentner wohnt schon seit über vierzig Jahren in seiner Wohnung. Trotz der schwierigen Umstände betont er: «Die Heilsarmee unterstützt uns so gut, wie sie kann, etwa bei der Wohnungssuche.» Bisher leider ohne Erfolg – auch Müller hat bisher keine Anschlusslösung.
Bausubstanz ungenügend
Die vier Wohnblöcke in Fahrweid sind aus den 1960er-Jahren. Die Bausubstanz ist in die Jahre gekommen. Sie sollen deshalb komplett abgerissen werden. Die Heilsarmee hat die Anwohner über ein Jahr vor dem Abbruch über die Pläne informiert, um ihnen viel Zeit für die Wohnungssuche zu geben. Aus mietrechtlicher Sicht ist das vorbildlich.
«Die bestehenden Liegenschaften können aufgrund der ungenügenden Bausubstanz und der heutigen Bauvorschriften nicht mehr saniert werden», sagt Simon Bucher, Sprecher der Heilsarmee. Es brauche einen Ersatzneubau. Zu diesem Schluss seien drei verschiedene Architekturbüros unabhängig voneinander gekommen.
Wohnungen sollen bezahlbar bleiben
Das Wohnungsangebot der Heilsarmee richtet sich an Menschen, die auf dem freien Markt Mühe haben, eine Wohnung zu finden. Ihre Mietpreise sind deutlich unter den Marktmieten. Die Wohnungen in Fahrweid kosten je nach Grösse netto zwischen 670 und 1680 Franken. Es handelt sich um Ein- bis Vierzimmerwohnungen.
Auch die Mieten der neuen Wohnungen sollen im Vergleich zum Markt günstig bleiben. «Es ist ein zentrales Anliegen der Heilsarmee, auch künftig bezahlbaren Wohnraum anzubieten», sagt Bucher. Zudem soll insgesamt mehr Wohnraum entstehen. Statt wie bisher 30 Appartements sind 45 Einheiten geplant.
Familie sucht verzweifelt
Für die aktuellen Bewohner ist das ein schwacher Trost. Es handelt sich um jüngere und ältere Menschen, Alleinstehende genauso wie Familien mit Kindern. Sie alle müssen ihr Zuhause verlassen.
So auch die vierköpfige Familie Gervalla. Mutter Kumet (43) und Vater Dafe (43) sind verzweifelt auf der Suche nach einer neuen Wohnung. «Ich suche tagein, tagaus. Bin auf allen Plattformen unterwegs und bei zwei Genossenschaften angemeldet», sagt Dafe. Seine Frau ist mit ihrem dritten Kind schwanger. «Bald brauchen wir ein Zimmer mehr. Aber unser Budget beträgt maximal 2000 Franken im Monat.»
Kein Vorrecht für alte Mieter
Eine Zwischenlösung für den Zeitraum zwischen Abbruch und Neubau gibt es nicht. Ein Vorrecht auf eine neue Mietwohnung auch nicht. «Es besteht jedoch selbstverständlich die Möglichkeit, dass sich heutige Mieterinnen und Mieter für eine Wohnung in der neuen Überbauung bewerben», sagt Heilsarmee-Sprecher Bucher.
René Graber (80) möchte diese Möglichkeit nutzen. Der Senior lebt schon seit 17 Jahren allein in einer der Zweizimmerwohnung. Für ihn ist klar: Ganz aus der Gegend weg möchte er auf keinen Fall. «Ich habe es gut mit den anderen Rentnern hier. Wir treffen uns regelmässig für einen Schwatz oder zum Kaffee. Das ist mir viel wert», sagt er. Für die Übergangszeit wird Graber bei seiner Tochter einziehen, die in Schlieren ZH wohnt. Ins Altersheim oder betreutes Wohnen? Für Graber keine Option. «Ins Altersheim gehe ich sicher nicht. Da mache ich lieber vorher Schluss», sagt er.
Wann Rückkehrer und neue Mieter in den Neubau einziehen können, ist jedoch noch ungewiss. Denn die Heilsarmee weiss noch nicht, wann sie mit dem Rückbau beginnen können. «Wir hoffen, dass wir im Februar 2026 mit den Abbrucharbeiten starten können», sagt Bucher. Baubeginn sei im besten Fall Frühling 2026. Man könne, Stand heute, aber noch keine konkrete Angabe machen. Die kommunale Bau- und Zonenordnung sei noch nicht in Kraft.
* Name geändert