Darum gehts
Immer wieder hörte Therese Scherrer den gleichen Satz: «Im Kanton St. Gallen scheinen die Regeln anders zu sein.» Die 55-jährige frühere Pflegerin hat soeben die Ausbildung zur Sozialversicherungsfachfrau abgeschlossen. Sie heisst eigentlich nicht Scherrer, will hier ihren richtigen Namen aber nicht nennen.
In ihrer Freizeit berät sie auf Facebook Hilfesuchende bei Fragen zu Ergänzungsleistungen, zur Arbeitslosenversicherung und zu IV-Renten. Ein regelmässiges Thema dort: Wie lange dürfen sich Bezügerinnen und Bezüger von Ergänzungsleistungen (EL) im Ausland aufhalten, ohne dass die Zahlungen ausgesetzt werden?
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
Kürzere Dauer laut St. Galler Website
Die Antwort lautet: ohne triftige Gründe maximal 90 Tage im Jahr. So steht es in der entsprechenden Verordnung des Bundes. Wenn Scherrer diese Information jeweils auf Facebook teilte, verwiesen die Fragesteller jedoch oft auf die Website der Sozialversicherungsanstalt (SVA) St. Gallen.
Bis Mitte März hiess es dort: «Wenn Sie EL beziehen, dürfen Sie sich maximal zwei Monate pro Jahr im Ausland aufhalten.» Das belegen Screenshots. Als der Beobachter die SVA St. Gallen damit konfrontierte, korrigierte sie die Information umgehend.
Was Scherrer stört: Gemäss ihren Aussagen machte sie die SVA St. Gallen bereits im Februar telefonisch auf den Fehler aufmerksam. Zur Antwort habe sie erhalten, dass sie zwar recht habe und die eidgenössische Verordnung selbstverständlich auch in St. Gallen gelte. Die SVA St. Gallen nenne aber bewusst zwei Monate als Maximum, «damit Personen, die ein paar Tage länger weg sind, deswegen nicht gleich in Schwierigkeiten geraten», gibt Scherrer das Telefongespräch mit einer SVA-Mitarbeiterin wieder.
Die Sozialversicherungsfachfrau empfindet diese Haltung als Affront. «Die SVA kann doch nicht bewusst falsche Informationen verbreiten, um ihre Klienten an der kurzen Leine zu halten – auch nicht angeblich zu deren Bestem.»
Es gibt keinen Ermessensspielraum
Das sieht auch Rechtsexperte Thomas Oechsle vom Beobachter-Beratungszentrum so: «Das Gesetz ist hier klar. Die Behörden sind im Rahmen ihres Zuständigkeitsbereichs verpflichtet, ‹die interessierten Personen über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären›. Einen Ermessensspielraum haben sie diesbezüglich nicht. Eine bewusste Falschinformation ist demnach widerrechtlich, selbst wenn sie eigentlich gut gemeint ist.»
Ob die SVA St. Gallen die Meldung von Therese Scherrer tatsächlich wie von ihr geschildert beantwortete, lässt sich nicht beweisen. Von der Sozialversicherungsanstalt heisst es auf Nachfrage: «Die Kundinnenauskunft können wir so leider nicht nachvollziehen.» Sollte tatsächlich wissentlich eine nicht korrekte Auskunft erteilt worden sein, hätte dies nicht den eigenen Qualitätsansprüchen entsprochen. Wie der Text auf der Website genau zustande gekommen sei, könne man nicht mehr herausfinden. «Wir entschuldigen uns für den Fehler.»