Aus Plus könnte bald Minus werden – im Juni steht SNB-Zinsentscheid an
Was bedeuten eigentlich Negativzinsen?

Alles spricht für die Wiederkehr von Minuszinsen in der Schweiz. Dies könnte schon bald der Fall sein. Wir erklären dir in fünf Punkten, welche Folgen das negative Vorzeichen hat.
Publiziert: 31.05.2025 um 12:03 Uhr
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Aktualisiert: 31.05.2025 um 13:12 Uhr
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Nationalbankpräsident Martin Schlegel zeigt sich entschlossen.
Foto: KEYSTONE/Peter Schneider

Darum gehts

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Peter Rohner
Peter Rohner
Handelszeitung

Nationalbankpräsident Martin Schlegel betont es immer wieder: Auch wenn sie niemand mag, werden Negativzinsen – wenn nötig – wieder eingeführt. Seit März liegt der SNB-Leitzins bei 0,25 Prozent, und es wird allgemein erwartet, dass ihn Schlegel an der nächsten Sitzung im Juni auf null setzt, um die Gefahr eines zu starken Frankens und fallender Konsumentenpreise abzuwenden.

Später im Jahr dürfte dann der Schritt unter die Nulllinie folgen – so ist es auf jeden Fall an den Zinsmärkten eingepreist. Wie ist eine solche Umkehr des Zinswesens überhaupt möglich? Und was hat die Schweiz aus der Negativzinsphase von 2015 bis 2022 gelernt?

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Wesen und Funktion der Zinsen

Zinsen gibt es mindestens schon so lange, wie es Geld gibt. Der deutsche Begriff leitet sich aus dem lateinischen Wort «census» ab, was mit «Vermögensschätzung» oder auch «Abgabe» übersetzt werden kann. Der Zins ist der Preis des Geldes, das für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung gestellt wird. Er entschädigt den Kreditgeber dafür, das Geld nicht selbst nutzen zu können. Und wie bei anderen Preisen gilt auch beim Zins: je knapper, desto höher.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Wenn Geld und Kapital hingegen im Überfluss vorhanden sind und sich kaum jemand Geld für Konsum oder Investitionen leihen will, ist das Zinsniveau niedrig. Die Angst vor Inflation kann den Zins ebenfalls in die Höhe treiben: Wenn erwartet wird, dass mit den ausgeliehenen 1000 Franken später weniger Güter gekauft werden können, wird eine höhere Kompensation verlangt. Auf individueller Ebene hängt der Zins auch von der Bonität ab: Besteht das Risiko eines Ausfalls, ist der Kredit teurer. Vermögende mit Sicherheiten bezahlen geringere Risikoaufschläge. Da diese Logik die Schwachen in den Ruin treiben kann, ist auch die Kritik am Zinswesen so alt wie der Zins selbst. Im Islam gilt das Zinsverbot bis heute.

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Die Rolle der Zentralbanken bei den Zinsen

Bis zur Gründung der Zentralbanken bestimmten Geldangebot und Kreditnachfrage zwischen Kreditnehmern, Banken und dem Staat über die Höhe der Zinsen. Unterdessen haben die Notenbanken eine zentrale Rolle in der Zinsgestaltung übernommen. Sie steuern den Zins, um auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und die Inflation Einfluss zu nehmen – etwa indem sie die Konditionen festlegen, zu denen die Banken sich bei ihr kurzfristig Geld leihen oder überschüssiges Geld bei ihr parkieren können. Via das Bankensystem und die Kapitalmärkte werden diese Geldmarktzinsen auf die Wirtschaft übertragen.

Höhere Zinsen bremsen die wirtschaftliche Aktivität und mindern die Gefahr von zu viel Inflation. Tiefe Zinsen fördern Investitionen und Konsum auf Pump und stimulieren so die Gesamtnachfrage. In der Theorie wären weitere Zinssenkungen ab einem gewissen Kurzfristzins leicht unter null – in Fachkreisen Zero Lower Bound genannt – wirkungslos, weil die Wirtschaftsakteure dann das Halten von Bargeld bevorzugen würden.

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Minuszinsen: Das Kreditwesen steht auf dem Kopf

Im ökonomischen Verständnis, wonach Geld heute mehr wert ist als morgen, ist der Zins eine positive Grösse. Ein negativer Zins stellt diese Beziehung auf den Kopf. Wer sich für den sofortigen Verzehr verschuldet, wird belohnt, wer auf die Geldnutzung verzichtet, legt drauf. Theoretisch kann es auch ohne Zwang zu einer solchen verkehrten Situation kommen: etwa wenn der Bedarf an sicheren Anlagen sehr gross ist und Leute für das Parkieren der überschüssigen Gelder zu zahlen bereit sind. Oder in einer Deflation, sprich, wenn Preise auf breiter Front fallen und das Geld morgen mehr Kaufkraft hat als heute.

Auch in der aktuellen Phase liegt der Marktzins für gewisse Schweizer Bundesanleihen bereits unter null, obwohl der SNB-Leitzins noch positiv ist. Ihr Kurs ist wegen der grossen Nachfrage und des geringen Angebots derart gestiegen, dass eine Minusrendite bis Verfall resultiert. Die SNB könnte bald auch den Leitzins unter null drücken, um Negativzinsen breit zu etablieren und den Franken unattraktiv zu machen. Es wäre kein neues Experiment, sondern die Rückkehr in bekannte Gefilde.

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Die Tiefzinsära nach der Finanzkrise ebnet den Weg

Negativzinsen sind eine historische Randerscheinung. Doch kein anderes Land hat damit so viel Erfahrung wie die Schweiz. So verpflichtete die SNB die Banken schon in den 1960er- und 1970er-Jahren, auf ihren Auslandsguthaben Kommissionen von bis zu 10 Prozent zu erheben, um die Frankenaufwertung einzudämmen. Ein umfassenderes Negativzinsregime führte die SNB unter Thomas Jordan Ende 2014 während der globalen Tiefzinsphase ein, um die Gefahr einer zu starken Frankenaufwertung und rückläufiger Preise abzuwenden. Nach der Aufhebung des Euro-Mindestkurses im Januar 2015 galt auf den Einlagen der Banken ab einer Freigrenze ein Minuszins von 0,75 Prozent.

Vor der Schweiz hatten bereits Dänemark 2012 und die EZB 2014 negative Einlagezinsen eingeführt. Die Bank of Japan zog 2016 nach. Aus der Notfallmassnahme wurde ein neuer Normalzustand. Erst mit der Rückkehr der Inflation und der Zinswende hoben die Zentralbanken ab 2022 nach und nach ihre Negativzinspolitik auf.

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Die Lehren aus der letzten Negativzinsphase

Die SNB hat am Ende der Negativzinsphase eine positive Bilanz gezogen: Sie seien unabdingbar gewesen und hätten zusammen mit den Devisenkäufen einen stärkeren Franken und rückläufige Preise verhindert. Tatsächlich hat die Schweizer Wirtschaft die Jahre ab 2015 gut gemeistert. Auch die Einführung verlief reibungslos, obwohl die Umkehr des Vorzeichens die Branche vor Herausforderungen stellte – etwa weil Software teils keine Minuswerte zuliess. Leidtragende waren die Banken, weil sie aus Angst, Kunden zu verlieren, die negativen Zinsen nur zögerlich auf die Einlagen überwälzten. Doch dank der Freibeträge hielten sich die negativen Folgen für sie in Grenzen. Über alle Inlandbanken gerechnet fiel die Nettozinsmarge von 1,2 auf 0,9 Prozent.

Die Banken profitierten ausserdem vom steigenden Hypothekarvolumen im Immobilienboom. Letzterer bedeutete aber auch, dass Wohneigentum noch teurer wurde. Der Anlagenotstand aufgrund der rekordtiefen Zinsen führte zu einer Verlagerung der Investments in Richtung Immobilien, Aktien und alternative Anlagen.

Fazit

Negativzinsen klingen pervers: Das Sparen wird bestraft, das Schuldenmachen belohnt. Was bis vor wenigen Jahren kaum vorstellbar war, ist unterdessen aber ein bewährtes Instrument der Zentralbanken, insbesondere der SNB, um die Währung vor einer starken Aufwertung zu schützen. Die Erfahrungen aus der vergangenen Negativzinsphase zeigen, dass Leitzinsen im Minusbereich funktionieren und die Banken sich damit arrangieren können. Zu den Kollateralschäden gehören jedoch steigende Immobilienpreise und eine Zinswüste am Obligationenmarkt, die Anleger in riskantere Investments treibt.

Ob der Zins nahe null oder darunter liegt, mag zwar in den Köpfen eine Rolle spielen, ist ökonomisch aber nicht entscheidend. Denn der reale Zins hängt von der Entwicklung des Preisniveaus ab. Solange die Inflation so tief ist und ein globaler Überhang an Ersparnissen sowie ein Bedarf an sicheren Anlagen besteht, wird es in der Schweiz immer wieder Phasen mit negativen Zinsen geben.

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